Die Anpassung des Christentums an andere Kulturen

Das Heil außerhalb der Kirche

Das Zweite Vatikanische Konzil vor mehr als 40 Jahren war ein Wendepunkt in der Kirchengeschichte. Damals wurde der erste Schritt für einen interreligiösen Dialog und die Anpassung des Christentums an nicht-europäische Kulturen unternommen.

Meinungen über die Auswirkungen von "Nostra aetate"

"Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil". So lautete für fast zwei Jahrtausende das Motto der römisch-katholischen Kirche, die keine Religion außerhalb des Christentums duldete. Erst beim Zweiten Vatikanischen Konzil 1962 wurde eine andere Position eingenommen und der erste Schritt für einen interreligiösen Dialog gelegt.

Nostra aetate

Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in in anderen Religionen wahr und heilig ist. Alle Völker sind ja eine einzige Gemeinschaft, sie haben denselben Ursprung, da Gott das ganze Menschengeschlecht auf dem gesamten Erdkreis wohnen ließ. Auch haben sie Gott als ein und dasselbe letzte Ziel"

So lautet ein Passus der so genannten "Nostra aetate", einem Dokument, mit dem die römisch-katholische Kirche beim Zweiten Vatikanischen Konzil 1962 ihre Position den anderen Religionen gegenüber um 180 Grad veränderte.

Prophetischer Aufbruch

"Aggiornamento" war das Stichwort des Zweiten Vatikanums - ein Begriff, der soviel heißt wie: etwas bedienungsfreundlich machen. Für die römisch-katholische Kirche hieß das: heraus aus dem bürokratischen Korsett, das sich die Kirche im 19. Jahrhundert selbst verpasst hatte - sich öffnen für die Welt, wie sie heute ist: nicht mehr von europäischen Imperien beherrscht, sondern plural, auf dem Weg zu demokratischen Staatsformen, Menschenrechten und einer globalen Gesellschaftsordnung.

Ausgangspunkt für die Erklärung war das Verhältnis der Kirche zum Judentum. War noch bis hinein in die vorkonziliaren liturgischen Texte ein deutlicher Antijudaismus spürbar, liest man in "Nostra aetate" erstmals:

Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen. Im Bewusstsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus.

Die schrittweise Umsetzung

Die Deklaration "Nostra aetate" war eine einzige riesige Herausforderung an die Katholiken, meint Professor John D'Arcy May, Professor für Theologie am Trinity College in Dublin. Vieles hat sich in den letzten 40 Jahren verändert. Die katholische Liturgie wurde durchforstet und Anschuldigungen gegen die Juden als Gottesmörder aus den liturgischen Texten entfernt. Am deutlichsten wird das in der Karfreitagsliturgie.

Der verstorbene Papst Johannes Paul der Zweite hat die Linie des Konzils weiterverfolgt: Als erster Papst der Geschichte kam er 1986 in Rom zu Besuch in eine Synagoge. Er entschuldigte sich für die Mitschuld der Christen am Holocaust, und er betete als erster Papst in einer Moschee in Damaskus.

Die Kirche wurde nach und nach zur pilgernden Kirche, deren Mitglieder nicht allein, sondern in Begleitung von vielen anderen Pilgern unterwegs zu Gott sind.

Die Auswirkungen bis heute

Heute hat sich der interreligiöse Dialog fest etabliert - nicht nur innerhalb der römisch-katholischen Kirche, auch in vielen anderen christlichen Kirchen ist man nicht mehr der Meinung, dass sich Nicht-Christen auf geradem Weg in die ewige Verdammnis befänden. "Nostra aetate" sei ein Dokument, dessen Brisanz sich erst heute zeigt, sagt Monsignore Felix Machado, der zweithöchste Mann im Päpstlichen Rat für interreligiösen Dialog:

"Erst am Tag nach dem 11. September 2001 haben mich Menschen gefragt, was tut die Kirche für interreligiösen Dialog? Das waren Politiker, Menschen, die sich niemals dafür interessiert haben. Die Kirche hat also damals in gewisser Weise prophezeit, dass der Dialog das Markenzeichen unserer Zeit sein wird. 'Nostra aetate' war dazu nur ein Aufruf, die restliche Arbeit ist natürlich geblieben. Nun müssen die Früchte des Dialogs aussortiert und auch Fehlentwicklungen korrigiert werden".

Paolo Naso, waldensischer Christ und Chefredakteur der Zeitschrift Confronti meint dazu: "'Nostra aetate' entstand in einem Kontext der Dekolonialisierung, auch in einem Kontext der Säkularisierung. Man sprach damals nicht von Fundamentalismen oder von Gewalt im Namen Gottes. Wenn also heute das Problem der Gewalt auch auf einem theologischen Hintergrund zu sehen ist, dann muss 'Nostra aetate' neu gelesen und neu interpretiert werden".

Wie weit darf der Dialog gehen?

Darf man nun andere christliche Kirchen anerkennen, führen die Wege anderer Religionen zum Heil? Darüber gibt es unter christlichen Theologen noch immer heiße Diskussionen. Manche katholische Theologen haben wegen ihrer Beiträge zu dieser Diskussion Lehrverbot erhalten. Und das päpstliche Lehramt hat mit dem Rundschreiben Dominus Jesus ein massives Stoppsignal gesetzt.

Philip Cunningham, Theologe am Boston College, glaubt, den Christen fehlt offenbar noch die richtige Sprache - die Theologie im Umgang mit den Nicht-Christen: "Es herrscht zwar allgemeine Übereinstimmung unter Katholiken, dass man andere Religionen respektieren soll, aber es müssen die theologischen Implikationen von 'Nostra aetate' erst entwickelt werden, was das für unsere Christologie, für unsere Liturgie, unsere Auffassung der Kirche bedeutet".

Den interreligiösen Glauben fördern

Gerade in der multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft in Großbritannien zeigt sich jedenfalls nicht zuletzt angesichts des islamistischen Terrors, wie wichtig interreligiöser Dialog heute ist. Sewa Singh Mandla, der Vorsitzende des Rates der Sikh Gurudwaras in Birmingham dazu abschließend:

"Interreligiöser Dialog war bis jetzt eine Domäne der christlichen Gesellschaft. Doch heute wird es immer deutlicher, dass religiöse Gemeinschaften Frieden, Versöhnung und Vergebung bringen können. In Großbritannien gehört diese Tatsache mittlerweile zur Regierungspolitik. Hier hat man die Devise ausgegeben: Der Glaube muss gefördert werden. Interreligiöse Gruppen wachsen wie Pilze aus dem Boden, doch sie wissen nicht, was sie tun sollen - es fehlt die Erfahrung. Bisher haben jedenfalls die Christen die dominierende Rolle im interreligiösen Dialog gespielt. Das war gut, aber jetzt sollten auch andere eine Chance bekommen".

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