Die polnische Seele

Radek Knapp kocht polnisch

Mit skeptischem Gesichtsausdruck führt Radek Knapp den Kochlöffel zum Mund. "Könnte durchaus was werden", sagt er, nachdem er das gemächlich vor sich hin köchelnde Bigos verkostet hat. "Ich würde sagen. In einer halben Stunde können wir essen."

Der 41-jährige Autor Radek Knapp steht am Herd seiner Küche in einer gemütlichen Altbauwohnung in Wien-Währing und kocht Bigos, die polnische Nationalspeise. "Es gibt Tausende Bigos-Rezepte", erklärt Knapp, "die Grundbestandteile sind allerdings immer die gleichen: Sauerkraut und Fleisch." Zusätzlich zu den beiden Haupt-Ingredienzien hat der Schriftsteller auch reichlich Zwiebeln, Speck und Mettwurst in die Pfanne geschnippelt, dazu kommt ein kräftiger Schuss Rotwein - ein Rezept, das ihm von seiner Großmutter überliefert wurde, behauptet Radek Knapp.

Die Geheimnisse der polnischen Sprache

Knapps Buch "Gebrauchsanweisung für Polen" ist ein Reiseführer der besonderen Art. In diesem charmanten Reisebüchlein setzt sich Radek Knapp auch mit den Geheimnissen der polnischen Sprache auseinander:

"Die Polen hören es verständlicherweise gern, wenn Ausländer ihre Sprache beherrschen", notiert er. "Doch im Gegensatz zu den Italienern machen sie sich keine Illusionen. Sie wissen, dass Polnisch fast so schwer zu lernen ist wie die Allgemeine Relativitätstheorie."

Das betrifft vor allem die Aussprache. Wer je versucht hat, einen vokalfreien polnischen Satz hervorzuknödeln, wird danach lechzen, sich mit Einsteins Theoremen auseinandersetzen zu dürfen.

Jetzt macht sich Radek Knapp am Schraubverschluss einer Flasche Zubrowka-Wodka zu schaffen. Er füllt zwei Stamperln bis zum Rand, sagt "Prost" und kippt die kristallklare Köstlichkeit in einem Zug hinunter. Dann stößt der Dichter stoßartig etwas Luft zwischen den gespitzten Lippen hervor, es klingt, als wolle er glühende Eisen mit seiner Atemluft kühlen. "Das macht man so in Polen", sagt er. "Mal sehen, wie weit das Bigos ist." Wieder verkostet der Schriftsteller die polnische Nationalspeise. Ein bisschen Salz fehlt noch, findet er. Radek Knapp würzt nach.

Die polnische Seele

Dann kommt er auf seine alte Heimat zu sprechen. Er hängt noch immer an ihr, obwohl oder weil er seit mehr als 30 Jahren in Österreich lebt: "Über die Polen kann man alles Mögliche sagen", behauptet Knapp, "und alles wird stimmen. Die Polen sind notorische Neinsager, begnadete Schmuggler und vor allem: wunderbare Dichter. Das hängt mit der Geschichte des Landes zusammen. In den letzten 200 Jahren ist Polen mehrere Male von der europäischen Landkarte verschwunden, immer wieder mussten sich die Menschen an Oder und Weichsel mit originellen Tricks und Kniffen gegen fremde Herren behaupten. Ich würde sagen: Das hat einen gewissen Hang zum Partisanenhaften in den polnischen Nationalcharakter gebracht."

Der polnische Nationalcharakter, die viel zitierte "polnische Seele", verfügt über einige Eigenschaften, die für jedes autoritäre Regime auf Dauer Gift sind, meint Radek Knapp. Da wäre zum einen ein eingefleischtes Misstrauen gegenüber Autoritäten aller Art zu erwähnen, zum anderen die an Magie grenzende Fähigkeit, Chaos zu erzeugen, wo kurz zuvor noch Ordnung herrschte.

Das könnte auch für Radek Knapps Küche gelten, die mittlerweile dem Schlachtfeld von Raclawice gleicht, auf dem sich 1794 Polens Schicksal entschied. Noch ein bisschen Salz in die Pfanne, ein Spritzer Rotwein, alles mannhaft umgerührt, dann ist das Bigos fertig. "Zu Tisch", ruft Radek Knapp. Wir sitzen vor dampfenden Tellern und lassen's uns schmecken. "Aber Vorsicht: Bigos ist die kalorienreichste Speise Europas", warnt der Gastgeber. "Man muss unbedingt zwei, drei Wodkas dazu trinken. Vielleicht auch vier. Sonst kann man das Ganze unmöglich verdauen."

Klingt plausibel: Na zdrowie!

Hör-Tipp
Lukas Resetarits liest Radek Knapp, Dienstag, 15. August 2006, 13:10 Uhr

Buch-Tipp
Radek Knapp, "Gebrauchsanweisung für Polen", Piper Verlag, ISBN 3492275362

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