Zwischen Dogmatik und Offenheit

Ein Theologe wird Papst

Als Präfekt der Glaubenskongregation hat man Joseph Ratzinger wenig schmeichelhafte Beinamen wie Großinquisitor, Panzerkardinal, oder Gottes Rottweiler gegeben. Als Papst hat er nun einen neuen Namen gewählt. Benedikt XVI. ist Programm, aber welches?

Papst Benedikt XVI. zu Glaube und Homosexualität

Als Präfekt der Glaubenskongregation hat Joseph Ratzinger einigen der namhaftesten katholischen Theologen die Lehrerlaubnis entzogen. Das hat ihm viel Kritik und wenig schmeichelhafte Beinamen eingetragen. Als Benedikt bezieht er sich auf kirchliche Traditionen. Aber auf welche?

...welcher Benedikt ist gemeint?

Da ist vor allem der heilige Benedikt von Nursia, der Vater des abendländischen Mönchstums, wie er genannt wird. Er lebte an der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert, und nach seiner Regel leben bis heute abertausende Mönche und Nonnen.

Unter den Päpsten mit dem Namen Benedikt finden sich nur wenige herausragende Gestalten:

Ein Benedikt XIV. im 18. Jahrhundert, den sowohl der preußische König Friedrich der Große als auch der französische Aufklärer Voltaire schätzte. Er gilt als Begründer der wissenschaftlichen Kirchengeschichte.

Und dann gibt es Benedikt XV. (1914-1922), der erfolglos versuchte, zwischen den Kriegsparteien des Ersten Weltkriegs zu vermitteln und sich mühte, durch Hilfswerke die Not zu lindern. Den Frieden von Versailles betrachtete er als rachsüchtiges Diktat und forderte Gerechtigkeit auch für die Besiegten. In seiner Enzyklika "Maximum illud" von 1919 kritisierte er den eurozentrischen Kolonialismus, aber auch die eurozentrische und kolonialistische Missionspolitik der römischen Kirche.

Welcher Benedikt ist es also? Und welches Programm? Die nächsten Monate und Jahre werden die Frage beantworten.

Glaube versus Wissenschaft

Ein Blick auf die Theologie des Joseph Ratzinger zeigt ein vielfältiges, hochgeistiges, aber auch sehr kontroverses Panorama. Das katholische Christentum ist der Gravitationspunkt seiner Existenz, doch dieses Lebensgefühl - ein Religionssoziologe würde sagen diese symbolische Sinnwelt - ist durch die Entwicklungen der Neuzeit, der Moderne, bedroht. Die moderne Naturwissenschaft hat ein Weltbild kreiert, in dem von Sinn und Ziel des Lebens nicht mehr geredet wird.

Zweifel, Wahrheit, Relativismus

Der christliche Glaube steht in Gegensatz zum Experiment der Naturwissenschaft. Wer glaubt, muss seinen Zweifel zurückstellen, sagte Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation in seiner Predigt beim mitteleuropäischen Katholikentag in Mariazell.

Ein kritisches Moment ist die Funktion des Zweifels für den Glauben. Noch beim Kirchenvater Augustinus im 6. Jahrhundert spielt der Zweifel eine wichtige Rolle auf dem Weg zu Gott. Später gerät der Zweifel bei der Theologie in Misskredit. Das Stichwort in der Debatte heißt nun Wahrheit. Doch das Problem mit der Wahrheit ist komplex. Einerseits kann und darf Glaube nicht erzwungen werden, so Kardinal Ratzinger in einem Interview. Andererseits aber soll das, was in der Bibel etwa zum Thema Homosexualität steht, als unverbrüchliche Wahrheit gelten. Und diese Wahrheit soll das Maß der Gesetzgebung sein. Alles andere wäre Relativismus.

Antidemokratische Tendenzen

In einer demokratischen Gesellschaft allerdings ist nicht die Bibel, sondern sind Verfassung und Menschenrechte entscheidend. In Schweden etwa ist die Diskriminierung von Homosexuellen vom Gesetz verboten. Ratzingers Kritik am Relativismus enthält also gleichzeitig eine Kritik an Demokratie und Menschenrechten. Der Vatikan gehört zu den wenigen Staaten, die die allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht unterzeichnet haben. Andererseits engagieren sich Gruppen innerhalb der römisch-katholischen Kirche für die Rechte von Kindern, von Flüchtlingen oder gegen die modernen Formen der Sklaverei.

Reine Auslegungssache?

Dass die Bibel ein Buch ist, das interpretiert werden muss, ist selbstverständlich. Aber nach welchen Kriterien? In den letzten 150 Jahren ist eine neue Disziplin in der Theologie entstanden: die wissenschaftliche Bibelexegese, die mit Methoden der Literaturwissenschaft, der Archäologie, der Geschichtswissenschaft etc. arbeitet. In der römisch-katholischen Kirche war diese Art der Bibelexegese bis nach dem Zweiten Weltkrieg verboten. Aus guten Gründen, lassen sich doch viele kirchlichen Regelungen biblisch nicht begründen - zum Beispiel die Ablehnung der Frauenordination.

So scharf sich die Predigt von Joseph Ratzinger vor dem Konklave gegen jeden Relativismus, gegen jede Aufgabe des Bildes einer überzeitlichen Ordnung wandte, so offen sind die ersten Reden des neuen Papstes Benedikt XVI. Er sei gewählt worden, weil er sich im Konklave als kooperative und kollegiale Führungspersönlichkeit erwiesen habe, war in der International Herald Tribune zu lesen. Vielleicht kommt ja die Offenheit, die Josef Ratzinger als junger Konzilstheologe hatte, in seiner neuen Position als Papst wieder zum Vorschein.

Mehr zur Papst-Wahl in oe1.ORF.at

Mehr zu Religionssendungen im ORF in religion.ORF.at

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.

Kontakt
Benedikt XVI.