Doyen der österreichischen zeitgenössischen Musik

Die "Impulse" des Friedrich Cerha

Er zählt zu den bekanntesten Komponisten des Landes. Seine Opern "Baal", "Der Rattenfänger", "Der Riese vom Steinfeld" werden an renommierten Bühnen gezeigt, seine Werke bei vielen internationalen Festivals und Konzertzyklen aufgeführt.

Kaum ein anderer österreichischer Komponist konnte der Neuen Musik dieses Landes so viel Bedeutung geben wie Friedrich Cerha. Er leistete Pionierarbeit bei der Präsentation neuer Werke, aber auch bei der Musik der Klassischen Moderne, vor allem der Wiener Schule. Mittlerweile umfasst sein Schaffen 130 Werke.

Zu Beginn seiner Karriere wollte man ihn in die Irrenanstalt einweisen, als er sich für die Moderne Musik einsetzte. Heute wird er als "Staatskünstler" geehrt und gefeiert. Der Wechsel von der frühen Einschätzung zur späten Wertschätzung eines Künstlers in Österreich ist schon oft erstaunlich.

Der Außenseiter

Immer wieder wurde Friedrich Cerha als Außenseiter gesehen. Das sei eine Rolle, die ihm - wie er sagt - von früh an vertraut sei. "Alles Außenseiter!" - Das ließe sich auch von den Protagonisten seiner Opernwerke sagen: "Baal", "Der Rattenfänger", "Der Riese vom Steinfeld" - immer geht es dabei um das schwierige Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft.

1926 in Wien geboren, begann er bereits mit sechs Jahren Geige zu spielen: "Die Geige war ein wichtiger Begleiter meiner Kinder- und Jugendzeit", erinnert sich Cerha, der bereits damals als sehr junger, hochbegabter Musiker gefragt war und in den 30er Jahren in so manchen legendären Lokalen mit befreundeten Musikern spielte.

Seine Kriegserfahrungen

Seine ersten Kompositionen schrieb er bereits im Alter von neun Jahren. Über seine Kriegserfahrungen könnte er eine eigene Sendung füllen. Als 17-Jähriger wurde er als Luftwaffenhelfer zur Wehrmacht eingezogen. In den Kriegsjahren suchte er in Dänemark Kontakt zur dänischen und später zur deutschen Widerstandsbewegung. Diese Widerstandsgruppen waren es dann auch, die ihn schließlich beim Verlassen des Militärs schützten, als er sich in Zivilkleidung quer durch Europa bis nach Tirol durchschlug.

Die Kriegserelebnisse prägen bis heute sein musikalisches Werk: "Wie verhält man sich zu den hierarchischen Ordnungsformen, in die man gestellt wird, zu den Dingen, zu denen man gezwungen wird? Wie weit muss sich der Einzelne anpassen, wie weit kann man sich wehren?" - So Friedrich Cerha über ein Grundproblem, wie es etwa in seiner Oper "Baal" thematisiert wird.

Die "reihe"-Zyklen

In den 50er Jahren wird Friedrich Cerha tonangebend für die radikale Erneuerung der Musiksprache in Österreich. Als Musiker, als Komponist, als Gründer des Ensembles "die reihe" gelingt es ihm, ein Publikum für die Neue Musik zu begeistern.

In den "reihe"-Zyklen stellte der Künstler verschiedenste Tendenzen vor, von Schönberg bis Satie und Kurt Weill, von Nono bis John Cage - eine stilistische Vielseitigkeit, die auch beim Komponisten Friedrich Cerha zu beobachten ist.

"Cerha-Dokumente" heißt eine zwölf CD umfassende Dokumentation, die in der ORF "Edition Zeitton" erschienen ist. Auf zwölf CDs sind da Auszüge aus dem musikalischen Schaffen Cerhas zu hören: Frühwerke, serielle Werke, Klangkompositionen, Musiktheater, Netzwerk, Baal, Wienerisches, Neue Kammermusik, Neue Orchesterwerke: ein beeindruckender Klang-Kosmos offenbart sich hier: "Die Aufnahmen aus den letzten 30 Jahren zeigen die Folgen meines Bemühens, den Reichtum an heute Erfahrbarem auf differenzierte Weise in umfassenden, organischen Formen zu bewältigen".

Sein Leitthema: das menschliche Schicksal

Das immer wiederkehrende Motiv in seinen Kompositionen ist das menschliche Schicksal in seiner Einbindung in das Schicksal der Welt. Ob in seiner Oper "Baal", in der ein Wesen beschrieben wird, das an dem Nichtvorhandensein der für sein Überleben notwendigen Bedingungen zugrunde geht, im "Netzwerk", das das Verhältnis von übergeordneter Macht und individueller Ohnmacht darstellt, in den "Nachtstücken", denen Texte von Hölderlin zugrunde liegen oder in dem bisher letzten Bühnenwerk "Der Riese vom Steinfeld", dessen Titelfigur an der Ausgrenzung und Verletzung durch die Welt stirbt.

Auseinandersetzung mit dem Tod

Eine fast logische Konsequenz also führte Cerha zu dem aus dem vierten Jahrhundert stammenden "Requiem"-Text: "Die Auseinandersetzung mit dem Tod trifft jeden; er ist in den Mythen und Religionen gesehen worden als die Schwelle zum Dunkeln - ins Nichts, ins Nirwana, in die Wiedergeburt, zum Gericht. Am liturgischen Requiemtext haben mich zunächst die verzweifelten Hilferufe gepackt, das 'Befreie mich', das 'Libera me’", so Friedrich Cerha über den Impuls zu seinem Werk, dessen Aktualität schon bei den ersten Proben beeindruckte.

Die Zukunft der Neuen Musik in Österreich sieht Friedrich Cerha, der seiner Heimatstadt bis heute treu geblieben ist, durchaus positiv: Es wäre für viele junge Komponisten heute um Vieles leichter, ihre Klangvorstellungen einem Publikum zu präsentieren, sagt er, da habe sich viel geändert im Konzertbetrieb, das müsse schon lange nicht mehr im "Untergrund“ passieren.

CD-Tipp
"Cerha-Dokumente", Box mit zwölf CDs, erschienen in der "ORF Edition Zeitton", erhältlich im ORF-Shop

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