Bachmann als Rezensentin

Kritische Schriften

Als Schriftstellerin muss Ingeborg Bachmann wohl kaum vorgestellt werden. Nicht so bekannt wie ihre Lyrik, Romane und Hörspiele sind ihre theoretischen Schriften, die nun vorliegen: Rezensionen in Zeitungen und Magazinen über Literatur, Film, Musik und Theater.

Wachheit und Erinnerung und Klarheit sind vonnöten, und je klarer wir uns ausdrücken, desto dichterischer werden wir sein. Auf dem Grund ist Dunkelheit genug und Unsagbares, und Schreiben ist neben anderem ein stetes Zurückdrängen von Dunkelheit.

Dieses Zitat stammt aus einer Art Kurz-Monografie, die Ingeborg Bacmanns literarischen Werdegang, sowie ihre wichtigsten intellektuellen und poetischen Positionen auf wenigen Seiten zusammenfassen sollte. Und dieser Versuch ist symptomatisch für Bachmanns Arbeitsweise: Wirklich zu einem Ende kam sie, wie so oft in ihrem Schreiben, damit nicht. Gezählte zehn Versionen des autobiografischen Fragments finden sich in dem Band "Kritische Schriften". Immer wieder bleibt das Geschriebene unvollendet.

Zehn - und durchaus verschiedene - Versionen für einen Text, der ursprünglich nur auf vier oder fünf Druckseiten angelegt war ist bemerkenswert und typisch für diese "Kämpferin der Sprache"; ihre unermüdliche Suche nach noch mehr Klarheit, nach noch mehr Präzision.

Meisterin des Unvollendeten

In ihrem Werk nimmt das Unvollendete, das Noch-nicht-Fertige, einen dominanten Platz ein. Ingeborg Bachmann hat all ihre Texte mehrmals überarbeitet, verfeinert. Sie war sehr kritisch gegenüber dem Selbstverfassten, selten konnte sie sich entschließen, Geschriebenes einfach als "geglückt" zu betrachten.

Dann soll es, in unserem Beruf, ruhig einmal Mühe kosten, tagelang ein entsprechendes Adjektiv zu suchen. Und dann wird auch nichts verloren sein, wenn einmal das entsprechende Wort nicht gefunden wird. Wenn nur das Vertrauen da ist.

Ingeborg Bachmanns Rezensionen in Zeitungen und Magazinen über Literatur, Film, Musik und Theater, die nun gesammelt vorliegen, belegen eindrucksvoll Bachmanns permanenten Kampf um die Stringenz der Gedanken, die genaue Formulierung, die Kongruenz von Inhalt und Form.

Vorlesungen über Philosophie

Die Kärntnerin war promovierte Philosophin. Sie dissertierte über den Existenzphilosophen Martin Heidegger. Ihre Vorlesungen an der Frankfurter Universität gelten heute als legendär.

Neben den Mitschriften dieser akademischen Vorträge findet sich in dem aktuellen Band ein Radiomanuskript zu einer Sendung, in der Bachmann dem Publikum die Philosophie Ludwig Wittgensteins und des Wiener Kreises um Moritz Schlick und Rudolf Carnap näher zu bringen versucht. Damit die geistige Materie nicht zu trocken wird, bettet sie die nüchterne Theorie in eine dialogische Form ein.

Aktuelle Rezensionen

Nicht wenige der theoretischen Schriften Ingeborg Bachmanns beschäftigen sich mit Musik, mit zeitgenössischen Komponisten, sind Rezensionen aktueller Konzert-Ereignisse.

Viele Instrumente kommen aus den Wäldern. Die Herkunft ist ihnen noch anzusehen an Haut, Darm und Holz. Die Schlagzeuge haben auf Geröllhalden das Klingen gelernt, das Blech ist in Schmieden im Tönen und Schmettern unterwiesen worden. Aber auch das Publikum ist aus den Wäldern gekommen. Es klatscht in die Hände, wenn es die Bändiger der lauernden Zimbel oder der vorpreschenden Pauken erwartet, und gibt in Wahrheit den Auftakt zum Kampf.

Der vielleicht am häufigsten zitierte Satz der Formulierungsartistin entstammt ihrem theoretischen, nicht etwa ihrem lyrischen oder ihrem Prosa-Werk. Ingeborg Bachmann gebrauchte ihn während ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden im Jahr 1959 im Plenarsaal des deutschen Bundesrates in Bonn:

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.

Buch-Tipp
Ingeborg Bachmann, "Kritische Schriften", herausgegeben von Monika Albrecht und Dirk Göttsche, Piper Verlag, ISBN 3492047076