Die Spuren der Gewalt

Blick nach Kolumbien

Man kann ihn beruhigt zu den ganz Großen der Weltliteratur zählen: Gabriel Garcia Marquez. Und man könnte, beeindruckt durch seine Präsenz, alle anderen vergessen, die auch in Kolumbien leben und schreiben: Alvaro Mutis, Santiago Gamboa, Jorge Franco.

Auf der imaginären Weltkarte der Literatur ragt aus der kolumbianischen Gegend die Gestalt von Gabriel Garcia Marquez auf: Riesig, nahezu übermächtig erfüllt sie den Raum am linken oberen Eck des südamerikanischen Kontinents. Aber wenn man ganz genau hinsieht, kann man auch die anderen schreibenden Kolumbianer erkennen. Z. B. den um fünf Jahre älteren Alvaro Mutis, dessen erste Veröffentlichung, ein Gedichtband, der Gewalt zum Opfer gefallen ist, die dieses Land so regelmäßig heimsucht wie die Sommersonnenwende.

Alvaro Mutis

Am 8. April 1948 verteilte Alvaro Mutis mit seinem Freund und Ko-Autor Carlos Patino die Büchlein eigenhändig an ihre Buchhändlerfreunde in Bogota. "Am nächsten Tag", erinnert er sich, "war unsere Publikation aufgrund eines Feuers vergriffen, denn am 9. April kam es zum blutigen Massenaufstand, dem 'Bogotazo'. Das Stadtzentrum wurde nach der Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliecer Gaitan von wütenden Anhängern in Flammen gesetzt."

Schon in diesen ersten Gedichten stellt Mutis sein Alter Ego vor: Maqroll den Gaviero. 1986 überarbeitete er die französische Übersetzung eines Prosagedichts mit dem Titel "Der Schnee des Admirals". "Das war gar kein Gedicht, dies war ein Roman", fiel ihm auf. "Müde und ergeben zuckte ich die Achseln und sagte mir: Dann schreibe ich die Geschichte also fertig. Ich setzte mich an den Schreibtisch, begann zu erzählen, mehr, mehr und noch mehr, und dann waren es fast 300 Seiten." Die Abenteuer dieser nomadischen, rätselhaften Gestalt, des Spähers im Mastkorb, faszinierte die Leser und ihn selbst so sehr, dass Mutis in den nächsten fünf Jahren sechs weitere Bücher über Maqroll den Gaviero schrieb.

Jorge Franco

Das Thema Gewalt zieht sich durch alle Romane und Kurzgeschichten Kolumbiens, sogar in den erotischen Geschichten der Fanny Buitrago ist sie unterschwellig vorhanden. Liebe ohne Gewalt scheint gar nicht möglich zu sein.

Dass Jorge Franco in seinem Roman "Rosario Tijeras" ausgerechnet die Liebesgeschichte einer Auftragskillerin erzählt, kann (fast) gar nicht mehr erstaunen. Aber wie er erzählt, wie er vom verzweifelten Wunsch nach einem normalen Leben erzählt, wie er uns die Verzweiflung nahe bringt, die diese junge Frau nach jedem Auftrag verspürt, und die Wut, die sie aufrecht hält, antreibt und schließlich verzehrt, das geht an die Nieren.

Santiago Gamboa

Kaum ein Krimi kommt ohne Gewalt aus. Aber dieser eine Krimi von Santiago Gamboa, "Verlieren ist eine Frage der Methode", lässt das wahre Ausmaß der Gewalttätigkeit, von der die kolumbianische Gesellschaft beherrscht wird, erahnen. Sogar die Nudisten, die in unseren Breiten zu den friedlichsten Zeitgenossen zählen, schrecken nicht vor en passant begangenen Brutalitäten zurück. Und auch sein neuester auf Deutsch erschienener Roman "Blender" setzt sich mit Gewalt auseinander, selbst wenn es "nur" um die Suche nach einem wertvollen Manuskript geht. Aber es ist eben die Gründungsschrift der mächtigen und gewalttätigen Sekte der Boxer, bekannt aus dem berüchtigten Boxeraufstand 1900 in Peking.

Buch-Tipps
Alvaro Mutis, "Die Abenteuer und Irrfahrten des Gaviero Maqroll", alle sieben Romane in einem Band, Unionsverlag, ISBN 3293003435

Fanny Buitrago, "Herrin des Honigs", Blanvalet Verlag, ISBN 3442351707

Jorge Franco, "Rosario Tijeras" bzw. "Die Scherenfrau", Unionsverlag, ISBN 3293003036

Santiago Gamboa, "Verlieren ist eine Frage der Methode", Wagenbach Verlag, ISBN 3803131499

Santiago Gamboa, "Das glückliche Leben des jungen Esteban", Wagenbach Verlag, ISBN 3803131693

Santiago Gamboa, "Die Blender", Wagenbach Verlag, ISBN 3803131952

"Erzählungen aus Spanisch Amerika: Kolumbien", spanisch-deutsch, dtv, ISBN 3423093609