Die Verführbarkeit des Menschen

Darf man Nazi-Filme zeigen?

"Hitlerjunge Quex", "Jud Süß", "Die Rothschilds" - antisemitische Hetzfilme aus der Nazizeit sind derzeit im Rahmen einer Retrospektive im Filmarchiv zu sehen. Die jeweils passenden NS-Wochenschauen gibt's als Vorprogramm dazu. Kann man Nazi-Filme zeigen?

Die Rechtslage ist eindeutig und wird natürlich auch bei der jetzigen Retrospektive zum Thema "Kino und Nationalsozialismus" eingehalten: NS-Propagandafilme sind und bleiben verboten. Lediglich im Rahmen von Sondervorführungen und mit begleitenden Einführungen und Diskussionen dürfen sie vorgeführt werden. Das war bei einigen Sondervorführungen im Rahmen frührer "Jüdischer Filmwochen" so, und daran hält sich jetzt auch das Filmarchiv Austria: Der in Wien tätige Zeitgeschichtler Frank Stern hält vor jedem Film fundierte Einführungsvorträge, nach deren Beginn kein Zuschauer mehr den Saal betreten darf. Bei der gestrigen Vorführung des Propagandafilms "Hans Westmar - Einer von vielen" beschwerte sich prompt ein Zuschauer erregt über diese "Zensurmaßnahme", wurde von den Veranstaltern jedoch auf die juristischen Gegebenheiten verwiesen.

Manipulative Bilder

Dennoch wird die Diskussion wohl nicht verstummen: Haben die Propagandafilme der Nazis seinerzeit ihre suggestive Wirkung doch unheilvoll genug bewiesen. Berüchtigt sind etwa die Sondervorführungen des antisemitischen Hetzfilms "Jud Süß" vor Wachmannschaften der Konzentrationslager. Am Tag nach der Vorführung übertraf die Grausamkeit der NS-Schergen regelmäßig selbst das in KZs sonst übliche Ausmaß... Sollen diese Filme also für alle Zeiten weggesperrt bleiben?

Frank Stern, der die jetzigen Vorführungen mit Vorträgen begleitet, sagt "nein" und er hat dafür gute Gründe: Die Verführbarkeit des Menschen durch manipulative Bilder und Töne sei kein Problem der NS-Zeit allein, und nur an extremen Propagandafilmen ließe sich der Umgang mit solchen Manipulationen erlernen und studieren.

Enttarnte Mythen

Doch auch davon abgesehen können solche Vorführungen Heilsames bewirken: Leni Riefenstahls Parteitagsfilm "Triumph des Willens" (der bei der jetzigen Retrospektive nicht vorgeführt wird) gilt zum Beispiel nur so lange als formales Meisterwerk der suggestiven Montage, bis man den Streifen (via DVD) selbst in Augenschein nimmt: Monotoneres ist zum Thema NS-Zeit kaum je belichtet worden. Und Filme wie der bereits erwähnte "Hans Westmar"-Streifen, der eigentlich dem "NS-Martyrer" Horst Wessel gelten sollte, entlarven sich in ihrer plumpen Machart und ihrer unfreiwilligen Komik beinahe von selbst. Aber auch raffiniertere NS-Propagandafilme sollen heutigen Kinogehern durchaus zugänglich gemacht werden. Lernen lässt sich auch aus derlei Monstrositäten viel, und die Schere des Zensors bleibt in der Schulung des Intellekts immer eine stumpfe Waffe.