Literatur & Alkohol

Noch einen Letzten

"Ein Alkoholiker ist ein Mensch, der es tun oder auch lassen kann, also tut er es", meint Charles Jacksons. Wie wahr. Einen hohlen Kopf bringt der Alkohol zum Plappern, Stammeln, Brüten und Dösen; einen brillanten zum Funkeln, Schwärmen, Heulen und Schweigen.

"Der Alkohol entzündet nur, was in einem Hirn an brennbarem Stoff vorhanden ist. Gelegentlich löscht er die Bestände, mit der Zeit endgültig; auch das kann ein Segen sein. Der Alkohol ist ein Erlöser von Erinnerungen und ein Auslöser derselben", schrieb Peter Rüedi in einem Essay über den "Geist aus der Flasche". Nur 15 Prozent der österreichischen Bevölkerung verzichten auf diesen so genannten Stimmungsmacher. Ob Promi oder Prolo, der Griff zu Flasche oder Sekttulpe macht sie alle gleich. Eine Gruppe jedoch scheint dem Alkohol überdurchschnittlich hoch gewogen zu sein: die Schriftsteller. Das behauptet der amerikanische Psychiater Donald W. Goodwin.

Drastisch hat Sinclair Lewis das Problem auf den Punkt gebracht: "Können Sie mir nur fünf amerikanische Schriftsteller seit Edgar Allan Poe nennen, die nicht an Alkoholismus gestorben sind?" Der Schweizer Max Frisch bemühte sich um eine Erklärung. Der Autor, so sagte er, scheue sich vor Gefühlen, vor solchen, die sich nicht zur Veröffentlichung eignen; er warte dann auf seine Ironie. Seine Wahrnehmungen unterwerfe er der Frage, ob sie beschreibenswert wären, und er erlebt ungern, was er keinesfalls in Worte bringen kann. Diese Berufskrankheit mache manchen Schriftsteller zum Trinker.

Gottfried Benn, Arzt und Dichter, hat eine Liste alkoholischer Märtyrer der Kunst zusammengestellt: "Es tranken, wobei Trinken keine bürgerliche Flüssigkeitsaufnahme bedeutet, sondern Trinken mit der erklärten Absicht des Rausches: Opium: Shelley, Heine, Poe. Absinth: Musset, Wilde. Äther: Maupassant. Alkohol: Alexander der Große, Sokrates, Seneca, Cato, Caesar, Rembrandt, Gluck, Schubert, Händel, Poe, Verlaine, Grabbe, Lenz, Jean Paul, Beethoven." Fast alle genannten waren ehelos, fast alle kinderlos. Die Liste wäre noch beliebig fortsetzbar: Rimbaud, Jack London, Hemingway, Faulkner, Malcolm Lowry, Dylan Thomas, Kerouac, Patricia Highsmith, Lenau, Mörike, Ringelnatz, Heiner Müller, Qualtinger, Joseph Roth. Roths letztes Werk lautet übrigens: "Die Legende vom heiligen Trinker".

Warum sind Autoren so anfällig für Alkaloide? Benn meinte auf die Frage kraftmeierisch: "Potente Gehirne stärken sich nicht mit Milch." Vielleicht kommt man einer Antwort näher, wenn man sich das Faktum vor Augen führt, dass sich in kaum einem anderen Beruf Alkoholkonsum so gut tarnen lässt wie in der weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit entstehenden Literatur. Schreiben ist ein einsames Geschäft. Alkohol kann sowohl die Isolation als auch deren Überwindung erleichtern. Und: Schriftsteller sind auf Inspiration angewiesen, Alkohol kann die befördern.

Malcolm Lowry starb mit 48 Jahren. Lowry war Alkoholiker. Von seiner Jugend bis zu seinem frühen Tod trank er beinahe täglich. Seine Werke sind von seinem Alkoholismus dermaßen durchtränkt, dass man in der Welt der Literatur nur schwer Vergleichbares finden wird. Allerdings gelang es Lowry in einer kurzen Phase seines Lebens, das Trinken drastisch zu reduzieren. In dieser relativen Nüchternheit gelang ihm sein Meisterwerk "Unter dem Vulkan". Der große Schwanengesang auf einen Alkoholiker.

Hemingways Lieblingsbars finden sich im Register der Europa-Reiseführer. In Paris ist es die Bar des Hotel Ritz. In Madrid die Chicote's Bar. In Vendig Harry's Bar. Doch nirgends wird um Hemingways Trinkstätten ein größerer Zirkus veranstaltet als auf Kuba. Der "Floridita" verhalf Hemingway zu Weltruhm. Sein Lieblingsgetränk, der "Hemingway Daiquiri" oder "Papa Doble" wird von vielen Touristen bestellt, um dem alkoholsüchtigen Weltliteraten nachzueifern. Hemingway, so die Säuferlegende, soll es an so manchem Abend auf 16 Daiquiris gebracht haben. Wenn das wahr ist, hätte er 1,68 Liter achtzigprozentigen Rum, den Saft von 32 Limonen und 8 Grapefruits, sowie 96 Tropfen Maraschino zu sich genommen. Und dann soll sich der alte Jäger auch noch aus eigener Kraft auf den Heimweg gemacht haben.

Von einem jungen amerikanischen Autor erschien dieser Tage in deutscher Übersetzung der autobiografische Roman "Trocken". Geschrieben von einem Mann namens Augusten Burroughs. Er durchlebte eine albtraumhafte Kindheit in einer Pflegefamilie. Mit 19 Jahren stand er zwar auf eigenen Beinen und machte gutes Geld als Werbetexter, sein Privatleben war jedoch ein einziges Desaster. Auf präzise, hippe und aufrichtige Art beschreibt Augusten Burroughs seine krasse Alkoholsucht und wie er sie zu überwinden lernte. Immerhin einer, auf den Wedekinds Satz aus dem "Marquis von Keith" nicht (mehr) zutrifft: "Das Leben ist eine Rutschbahn, und die Dichter rollen auf ihr hinab wie die Rauschkugeln."

Buch-Tipp
Augusten Burroughs, "Trocken", Rowohlt Verlag, ISBN 3498006339