Seine Botschaft im und gegen den Zeitgeist

Der unbequeme Jesus

Jesus von Nazareth wird als der Liebende, aber auch als der Streitbare dargestellt, als Leidender, aber auch als Heilsbringer. Seine Botschaften klingen radikal und kompromisslos. Doch welche Bedeutung haben sie heute - auch außerhalb der Gotteshäuser?

Erziehungswissenschaftlerin Marianne Gronemeyer

Ein Mann, der sich mit Obdachlosen und Prostituierten an einen Tisch setzt, der Kranke heilt und der die Händler aus dem Gotteshaus wirft. Ein Mann, der Konventionen und Regeln bricht: Es ist ein aufrüttelnder Jesus, den das Neue Testament schildert. Einen, der kompromisslos Feindesliebe predigt, der mit den Armen und von der Gesellschaft Ausgestoßenen an einem Tisch sitzt, der vom Frieden spricht und gleichzeitig seine Jünger auffordert, ihre Familien zu verlassen, um ihm nachzufolgen.

Frohe Botschaft nicht kuschelig

Vor allem die Sätze der Seligpreisungen in der Bergpredigt stellen eine unglaubliche Beunruhigung dar, meint Marianne Gronemeyer, Professorin für Erziehungs- und Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Wiesbaden:

"Die frohe Botschaft ist nicht kuschelig. Während heute alle glauben, Freitheit bedeutet Selbstverwirklichung, besteht sie wahrscheinlich viel eher darin, einmal von sich abzusehen".

Der historische Jesus

Die Überlieferungen des historischen Jesus sind auch vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen und sozialpolitischen Verhältnisse zu lesen. Der Familienverband, die politische Gruppe - das ist zur Zeit Jesu von viel höherem Wert als der Individualismus. Der Verband Großfamilie bedeutet für den Einzelnen Halt und Sicherheit.

Jesus kritisiert Machtverhältnisse

Aber genau diese Institution kritisiert Jesus. Diese bibelexegetischen Erkenntnisse hat etwa John Dominic Crossan in seinem Buch "Jesus - ein revolutionäres Leben" zusammengefasst. Crossan, Bibelwissenschafter aus Chicago, kommt zu dem Schluss, dass Jesus mit seiner Botschaft die damals vorherrschenden Machtverhältnisse erschüttern wollte. Es ist nicht die patriarchalische Großfamilie, deren Bild Jesu predigt, sondern ein Verband, der offen bleibt und niemanden ausgrenzt.

Gestalt Jesu eine "Zumutung“

Karl Bopp, Pastoraltheologe und Rektor der Salesianer-Hochschule Benediktbeuern, sieht in der Person Jesu eine nicht ganz einfach umzusetzende Radikalität, die herausfordert - auch die römisch-katholische Kirche:

"Die Gestalt Jesu ist auch für die Kirche manchmal eine Zumutung, wo die Kirche auch ihre eigenen Grenzen erfährt“.

Gleichzeitig sieht Bopp darin auch die Möglichkeit, zu lernen, mit gescheiterten Menschen anders umzugehen.

Radikalität und Barmherzigkeit

Jesus ist als geschichtliche Figur an seine Zeit gebunden. Viele Äußerungen sind nur im historischen Kontext zu verstehen. Für Karl Bopp sind die überlieferten Aussagen Jesu aber nicht nur in ihrer Radikalität zu lesen, sie sind untrennbar auch mit Barmherzigkeit verbunden.

Jesus verlangt einem alles ab, aber er verlässt auch den nicht, der scheitert. Etwa wenn im Johannes-Evangelium, die Begegnung Jesu mit einer Ehebrecherin geschildert wird. Das Gesetz hätte vorgeschrieben, diese Frau zu steinigen. Jesus ruft dann aber in die Menge:

"Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als Erster einen Stein auf Sie".

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Buch-Tipp
John Dominic Crossan, "Jesus - ein revolutionäres Leben", aus dem Englischen von Peter Hahlbrock, C. H. Beck Verlag, ISBN 340639244X

Download-Tipp
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