Auf den Spuren des Märchendichters
Hans Christian Andersens Kopenhagen
Am 2. April jährt sich Hans Christian Andersens Geburtstag zum 200. Mal. Eine Stadt, die ihn wesentlich prägte, ist Kopenhagen. Ulrich Sonnenberg führt in seinem Lese- und Reisebuch durch das Kopenhagen von heute auf den Spuren des großen Dichters.
8. April 2017, 21:58
Hans Christian Andersen stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Er wurde 1805 als Sohn eines Schuhmachers und einer Waschfrau in Odense geboren. Im Alter von nur 14 Jahren brach er ganz allein nach Kopenhagen auf, mit der erklärten Absicht, am Theater "berühmt" zu werden. Seine bemerkenswerte Mischung aus Naivität und Frechheit brachte ihn erstaunlich schnell in die betuchten Kreise einflussreicher Kopenhagener Familien.
Dennoch blieb Andersen stets ein ruheloser Außenseiter und egozentrischer Einzelgänger. Familiäre Bindungen ging der hypochondrisch veranlagte Junggeselle nicht ein. Er führte ein Leben aus dem Koffer und wurde nie so richtig sesshaft.
Meine Erziehungsschule sind das Leben und die Welt, ich habe die Gabe, aufzufassen und darzustellen; aber ich muss meine Werkstatt haben, und das heißt, ich muss mich in der Welt herumtreiben.
Die "teuerste Stelle der Welt"
Zwischen seinen ausgedehnten Reisen durch ganz Europa wechselte Andersen ständig die Wohnungen oder nächtigte in Hotels der dänischen Hauptstadt, zu der ihn viele Jahre eine tief empfundene Hassliebe verband. Einerseits blieb sie ihm stets die "teuerste Stelle der Welt" und nie versäumte er es, den Jahrestag seiner Ankunft wie einen "zweiten Geburtstag" zu feiern, andererseits lieferten ihn die Reaktionen auf sein Werk immer wieder Anlässe, mit Kopenhagen und seinen Bewohnern zu hadern.
Möge mein Auge nie mehr das Zuhause schauen, das nur Augen für meine Fehler hat, aber kein Herz dafür, was Gott mir Großes verliehen hat! Ich hasse, ich verabscheue meine Heimat, wie sie auch mich hasst und bespeit!
Anregungen und Motive
Dennoch lieferte ihm die Stadt natürlich vom ersten Tag an viele Anregungen und Motive, die in seine Werke einflossen. Kopenhagen platzte allerdings zu Andersens Zeiten aus allen Nähten, die sozialen und hygienischen Zustände waren katastrophal. Man hatte nicht nur kaum Platz, sondern musste diesen auch noch mit Pferden, Kühen, Schweinen und Ratten teilen. In dem Märchen "Der Wassertropfen" verglich Andersen seine ersten Eindrücke mit dem Blick auf Bakterien in einem Mikroskop:
Es war schauerlich, aber noch schauerlicher war es zu sehen, wie der eine den anderen puffte und stieß, wie sie sich zwickten und zwackten, einander bissen und rissen. Was unten war, sollte nach oben, und was oben war, sollte nach unten!
Lust auf Andersen, Lust auf Kopenhagen
Vom alten Markt Gammeltorv über den Storchenbrunnen am Amagertorv bis zum berühmten Runden Turm führen die ersten Stadtspaziergänge. Wie sehr Hans Christian Andersen mit dieser Stadt verwandt war, merkt man daran, dass sich wirklich zu fast jeder Gasse, jedem Platz und jedem hervorstechenden Gebäude ein passender Text aus einem seiner Werke hinzufügen lässt. Die Fotos von Rainer Groothuis tragen dazu bei, dass man auch als Ortsfremder einen guten Eindruck der Kopenhagener Sehenswürdigkeiten bekommt. Das Buch macht einerseits Lust auf die Werke Andersens, anderseits auf einen Besuch der dänischen Hauptstadt.
Arme kleine Meerjungfrau
Zu guter Letzt führt der kurzweilige Stadtbummel natürlich auch zum wohl berühmtesten Wahrzeichen Kopenhagens: der kleinen Meerjungfrau. Der zierlichen Bronzefigur, die schon seit 1913 ihren sehnsüchtigen Blick über die Wellen des Öresund gleiten lässt, wurde allerdings im Laufe der Jahre gar übel mitgespielt.
1964 war die Aufregung groß, als die berühmte Statue eines Morgens ohne Kopf da saß. Obwohl die Kopenhagener Mordkommission in die Ermittlungen eingeschaltet wurde, konnten weder der Originalkopf noch der Übeltäter ausfindig gemacht werden. Der Kopf musste nachgegossen werden. Doch damit nicht genug: Später stahlen Unbekannte auch den neuen Kopf, ein anderes Mal wurde ihr ein Arm amputiert und vor drei Jahren ist sogar die komplette Figur von ihrem Stein gesprengt worden. Das Vorbild für die mittlerweile wieder an ihrem ursprünglichen Platz weilende kleine Meerjungfrau stammt natürlich aus Andersens gleichnamigem Märchen, jener traurigen Geschichte der unsterblichen Liebe der Nixe und des Prinzen.
Die Seejungfrau küsste seine hohe, schöne Stirn und strich sein nasses Haar zurück. Es schien ihr, als gleiche er der Marmorstatue in ihrem kleinen Garten; sie küsste ihn wieder und wünschte, dass er doch leben möchte.
Buch-Tipp
Ulrich Sonnenberg, "Hans Christian Andersens Kopenhagen", mit Fotografien von Rainer Groothuis, Verlag Schöffling & Co., ISBN 3895615838
Ausstellungs-Tipp
"Andersen in Wien", bis 30. April im Atrium des Wien Museums, der Eintritt ist frei.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Hör-Tipps
"Die Literatur-Miniatur" am Donnerstag, dem 31. März, um 16:55 Uhr bringt Auszüge aus "Der Schatten", Hans Christian Andersens Märche, gesehen von Günter Grass.
Die "Tonspuren" am Freitag, dem 1. April, um 22:15 Uhr folgen Andersens Spuren in Österreich.
In der "Hörspiel-Galerie" am Samstag, dem 2. April, um 14:00 Uhr können Sie "Die Nachtigall" von Hans Christian Andersen hören. Es liest Will Quadflieg.
Die "Musikgalerie" am Montag, dem 4. April, um 10:05 Uhr bringt Lieder der Nixen und Nachtigallen, Hans Christian Andersens Werk in der Musik.
Die "Radiogeschichten" erinnern am Montag, dem 4. April, an Andersens Märchen "Das hässliche junge Entlein", am Dienstag, dem 5. April, an sein Märchen "Das Metallschwein", und am Mittwoch, dem 6. April an "Die Blumen der kleinen Ida"; jeweils um 11:40 Uhr.