Die Vorgeschichte: 1945 - 1954
Hugo Portischs Erinnerungen
Zum Auftakt einer zeitgeschichtlichen Gesprächsreihe anlässlich des "Gedankenjahrs 2005" erzählt Hugo Portisch als Zeitzeuge und Interviewpartner von Rudolf Nagiller, wie es nach jahrelangem Ringen schließlich doch noch zur Staatsvertrags-Unterzeichnung kam.
8. April 2017, 21:58
Rudolf Nagiller im Gespräch mit Hugo Portisch
Wir haben alle nicht mehr damit gerechnet, dass je ein Staatsvertrag zustande kommen wird. Es war wie ein Wunder!
So erinnert sich Hugo Portisch, damals stellvertretender Chefredakteur im Kurier, an das Jahr 1955.
Zum Auftakt einer zeitgeschichtlichen Gesprächsreihe mit 17 Zeitzeugen - erhältlich auch als Ö1 CD-Edition - gibt Portisch als Interviewpartner von Rudolf Nagiller einen Überblick, wie nach jahrelangem Ringen der kaum noch erhoffte Staatsvertrag für Österreich zustande gekommen ist.
Im Folgenden nun Ausschnitte aus dem Interview mit Rudolf Nagiller mit Zitaten von Hugo Portisch, die chronologisch die Entwicklung der Verhandlungen von den Anfängen bis zur Unterzeichnung in Moskau dokumentieren.
Es begann in London mit einer kalten Dusche ...
Damals, 1946, vor der Londoner Vorkonferenz, haben wir uns stark gefühlt. Wir haben uns eingebildet, früher als die so genannten Krieg führenden Staaten einen Vertrag zu bekommen. Wir waren ja ein befreites Land und das erste Opfer Deutschlands. Daher haben wir endlose Forderungen an Deutschland gestellt, verlangten Wiedergutmachung der Schäden, für die Gefallenen, wollten sogar Ödenburg oder das Berchtesgadener Land zurückhaben, auf jeden Fall aber Südtirol. ...
Statt des erhofften Friedensvertrages erhielten wir eine kalte Abfuhr seitens der Sowjetunion. Sie beschuldigte uns, dass wir mehr als eine Million Soldaten zur Verfügung gestellt, an der Aufrüstung mitgearbeitet hätten und an den Verbrechen der Nazis mitschuldig wären. ...
1947, bei den Verhandlungen in Moskau, kamen dann die Russen mit Forderungen. Sie haben von den großen Drei zugesprochen bekommen, dass sie deutsches Eigentum in Österreich voll beanspruchen können. Betriebe, Raffinerien, Tankstellen, Autobahnen, Immobilien etc. wurden beschlagnahmt und zum Rückkauf angeboten. Da die Amerikaner aber befürchteten, dass die Sowjets durch Eigentumsansprüche im Land geblieben wären und so einen wirtschaftlichen Brückenkopf in Österreich gehabt hätten, haben sie uns daran gehindert und sind nicht darauf eingegangen. Wir hätten allerdings ohnehin nicht bezahlen können. ...
Nach und nach änderte sich die Weltlage. 1949, als die Berliner Blockade aufgehoben wurde, hatten die Sowjets in der Atom- und Raketenrüstung mit den USA gleichgezogen. Der Kommunismus in Europa war im Vormarsch. Weil die Sowjets immer stärker und selbstbewusster auftraten, wären damals die Amerikaner im Falle eines Abzugs der Russen bereit gewesen, zu unterzeichnen, denn sie rechneten damit, dass ein freies Österreich sich dem Westen anschließen würde. Aber der Kalte Krieg spitzte sich immer mehr zu. 1950 wurde als amerikanische Antwort auf die Hochrüstung der Sowjets die NATO gegründet; dann kam der Korea-Krieg, und von einem Vertrag war lange keine Rede mehr. ...
Die Wende: das Neutralitäts-Angebot
Als der neue US-Präsident Dwight D. Eisenhower 1953 den Korea-Krieg beendete und den Sowjets zwecks Entspannung ein Angebot bezüglich Staatsvertrag machte, schien erstmals Hoffnung aufzukeimen, denn auch die Sowjetunion brauchte nach dem Tod Stalins eine Erholungsphase. 1954 wurde dann erstmals die Neutralität ins Spiel gebracht. Aber Österreich hielt damals nichts von der Neutralität: Die SPÖ, aber auch Teile der ÖVP befürchteten nämlich, die Neutralität würde den Einfluss der Sowjets in Österreich erhöhen. Außerdem lautete der Grundtenor, wenn wir neutral sind, verlieren wir alle Freunde, und bei einer Weltkrise marschieren wieder alle ein und sagen, ihr habt Staatsvertrag und Neutralität gebrochen. ...
Bei der Berliner Konferenz wären die Amerikaner zur Vertragsunterzeichnung bereit gewesen, wenn Österreich sich verpflichtet hätte, so neutral wie die Schweiz zu sein. Daraus wurde aber wieder nichts, weil wiederum die Russen begannen, Klauseln aufzustellen. So sollte ein Truppenkontingent von ein, zwei Tausend Mann im Mühlviertel bleiben, und zwar so lange, bis Deutschland seinen Friedensvertrag bekommt. Österreich lehnte ab, und so waren Ende 1954 die Hoffnungen auf einen Vertrag am Tiefpunkt angelangt. ...
Eine überraschende Wende vollzog sich dann nur acht Monate später, als sich in der Sowjetunion der Machtkampf zwischen Wjatscheslaw M. Molotow und Nikita Chruschtschow zuspitzte und letzterer die Macht übernahm. Chruschtschow sympathisierte ja schon bei früheren Verhandlungen mit einer Vertragsunterzeichnung. Die prosowjetische Haltung von Bundeskanzler Julius Raab, der die Situation sofort erkannte, trug dazu bei, dass die Sowjets schließlich zwei kleinmotorige Sonderflugzeuge nach Österreich schickten, um die Herren Raab, Figl, Schärf und Kreisky nach Moskau zu holen. ...
Die anschließenden Verhandlungen gingen dann zügig voran. Entscheidender Punkt war Österreichs Akzeptanz der Neutralität. Keinem Militärbündnis beizutreten, war den Russen zu wenig. Außenminister Molotow war nur dann bereit, zu unterschreiben, wenn Österreich so neutral wie die Schweiz blieb. Er sagte: 'Warum wehren Sie sich so, die Amerikaner haben das ja auch vorgeschlagen'. Julius Raab entgegnete: 'Wir akzeptieren die Neutralität'. Der Rest ist Geschichte. ...
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Download-Tipp
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Hör-Tipp
Das "Journal-Panorama" vom Mittwoch, dem 16. März, bringt unter dem Titel "Das Jahr des Staatsvertrags" den zweiten Teil des Interviews mit Hugo Portisch. Diese zeitgeschichtliche Gesprächsreihe wird in der Folge mit weiteren 16 Zeitzeugen bis 21. Juni jeweils dienstags im "Journal-Panorama" ab 18:25 Uhr ausgestrahlt.
CD-Tipp
Die Gesprächsreihe zum "Gedankenjahr 2005" mit den 17 Zeitzeugen gibt es auch als Ö1 Doppel-Edition mit je vier CDs im Ö1 Shop zu kaufen.
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Edition 1
Edition 2
Links
Parlament - Veranstaltungstipps zum Jubiläumsjahr
kundendienst.ORF.at - Hugo Portisch
Österreich 2005