Shanghaier Underground

Eine Nacht in Shanghai

"Der Mond gab mir die Kraft, gegen meine Angst zu kämpfen", schreibt Mian Mian auf ihrer Website. Doch derart romantische Bilder haben in ihren Büchern keinen Platz. Da beleuchtet sie die Schattenseiten ihrer Heimatstadt Shanghai: Drogen, Gewalt, Prostitution.

Mian Mian, der Shooting-star der Shanghaier Literaturszene, ist zerrissen. Zerrissen wie die Stadt, in der sie lebt. Ihr Lebensgefühl pendelt zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Ihre literarischen Protagonisten entziehen sich jeglicher Moralvorstellung des alten China: Drogenexzesse, Alkohol, Selbstmord, Gewalt, Prostitution: Das sind ihre Themen.

Hassliebe zur Heimatstadt

Geboren wird Mian Mian 1970 in Shanghai, vier Jahre nachdem Mao Tse-Tung mit seiner Frau die große proletarische Kulturrevolution verkündet hat. 35 Jahre später gibt es in Shanghai keine proletarischen Grundsätze mehr. Im Gegenteil: An keinem anderen Ort der Erde wächst die Wirtschaft derzeit so dynamisch wie in dieser Megalopolis.

"Ich empfinde für diese Stadt einerseits ein Gefühl des Hasses und anderseits ein Gefühl der Liebe", sagt Mian Mian. "Ich liebe Shanghai, weil ich hier geboren wurde und hier meine Wurzeln sind. Andererseits hasse ich die Stadt, weil es praktisch kein kulturelles Umfeld gibt, in dem man sich vernünftig unterhalten bzw. seine Gedanken austauschen kann."

"Königin der Subkultur"

Mian Mian, vom deutschen Nachrichtenmagazin "Spiegel" zur "Königin der Subkultur" gekrönt, erzählt in ihren Geschichten vom Nachtleben in der Metropole Shanghai. Die Erzählungen spiegeln eine Generation X wieder, die alles ausprobieren will, die schnell und kompromisslos lebt, analog zur rasanten Entwicklung in Chinas Großstädten. Vielen von ihren Charakteren liegen Personen aus ihrer persönlichen Umgebung zugrunde, Freunde, Verwandte oder einfach nur Zufallsbegegnungen auf einer der zahlreichen Partys, die sie frequentiert.

Dass ihre Bücher auch politische Aussagen transportieren, verneint die Shanghaier Autorin heftig. Aber sie ist die erste chinesische Schriftstellerin, die in ihren Texten über Drogen schreibt. Den Rohentwurf des erst kürzlich in chinesischer Sprache erschienenen Bandes "Panda Sex" hat Mian Mian im Szene-Lokal YY's verfasst.

Zwischen zwei Extremen pendeln

Das YY's entpuppt sich als gemütlich wirkendes Wohnzimmer in gedämpftem Licht. Bücherwand und Piano inklusive. Das Publikum ist international, die Getränkekarte ebenso. Ein Galerist aus Frankreich, auf der Suche nach interessanten Bildern junger, chinesischer Künstler, ein vierköpfiges Fernsehteam aus Deutschland, die Shanghai als exotischen Drehort für eine deutsche TV-Serie entdeckt haben, und zwei einheimische Fotografen, die einen italienischen Verleger treffen. Kurz nach Mitternacht kreuzt Mian Mian auf, ganz in schwarzem Outfit. Das ist ihre Stunde und ihre Nacht.

"Ich pendle zwischen zwei Extremen" sagt Mian Mian. "Jeden Tag frage ich mich: Kika, willst du bald sterben oder noch ein bisschen leben und dieses beschissene Leben durchhalten?"

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich runterladen.

Buch-Tipps
Mian Mian, "Deine Nacht, mein Tag", ins Deutsche übersetzt von Karin Hasselblatt, Verlag Kiepenheuer und Witsch, ISBN: 3462034219

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Mian Mian, "Candy", englische Übersetzung, Back Bay Books, ISBN: 0316563560

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Mian Mian