Ulrich Michael Heissig alias Irmgard Knef
Kindchen, fahr ab!
Nach seinem Outing im ersten Programm, in dem Ulrich Michael Heissig in die Rolle der Zwillingsschwester von Hildegard Knef schlüpfte folgte im zweiten der Abschied von der verstorbenen Schwester. Mittlerweile spielt er mit der Rolle der Irmgard und gestaltet Wien-Abende.
8. April 2017, 21:58
Ausschnitt aus "Schwesterseelenallein"
Am Anfang war das Outing: Ulrich Michael Heissig, der Berliner Sänger, Autor und Entertainer, schlüpfte in die Rolle der geheimnisvollen wie unbekannten Zwillingsschwester von Hildegard Knef. Dann kam der Abschied von der verstorbenen Schwester und Irmgard stieg "Schwesterseelenallein", aber mit neuem Selbstbewusstsein auf die Bühne. Mittlerweile spielt Heissig mit der Rolle der Irmgard, lässt sie ganz eigene Wege beschreiten und Abende für Wien gestalten.
Ich bin nicht die Hilde, für die man mich hält
Dieses Lied wurde bald zu ihrem Markenzeichen, als sie 1999 erstmals in Erscheinung trat: Irmgard Knef, die mittlerweile gar nicht mehr so unbekannte Zwillingsschwester der bereits verstorbenen Hildegard. Zum Bühnenleben erweckt hat diese Kunstfigur der Berliner Schauspieler, Sänger und Autor Ulrich Michael Heissig. Seither brilliert er in der Rolle der rührigen Kreuzbergerin, die mit Talent geschlagen und mit Verachtung gestraft war, bis sie aus dem Schatten der berühmten Schwester trat.
Ende Jänner wurde Ulrich Michael Heissig für seine grandiose Performance mit dem deutschen Kabarett-Sonderpreis ausgezeichnet. Folgt man Irmgards fiktiver Biografie, so steuert sie heuer ihren 80sten Geburtstag an.
Die erfolglose Irmgard
Irmgard ist Jahrgang 1925, das heißt, sie hat ihre frühe Jugend noch in der Weimarer Republik erlebt, dann ihre Teenagerjahre unter Hitler im NS-Regime, dann als ganz prägende Erfahrung den Krieg gehabt und dann natürlich die Bundesrepublik von der Stunde Null bis jetzt eben verfolgt. Das heißt, sie blickt auf eine Unzahl von Schicksalseinbrüchen zurück und kann da unwahrscheinlich viel erzählen: "Das ist die klassische Generation meiner Großeltern und Tanten".
Irmgard ist eine alte Frau, eine Schauspielerin, Autorin, Sängerin, Malerin, die leider nie Erfolg mit ihrer künstlerischen Produktion hatte und die eine von tausenden ist, die es zum Beispiel in Großstädten gibt, wo die Leute in jungen Jahren hinkommen und als Künstler reüssieren wollen und irgendwann erfahren, dass sie auch scheitern können. Es ist das Leben einer zu kurz gekommenen, einer Schauspielerin, die sehr hohe Ziele hatte, die sie aber nicht erfüllen konnte - aber: Sie geht mit diesem Scheitern sehr lustvoll und humorvoll um.
Kindchen, fahr ab!
Irmgard Knef hat keine Eile. Wenn sie das Mikrofon aus der Halterung herausnimmt, gibt sie der Technik mit einem hingehauchten "Kindchen, fahr ab! zu verstehen, dass es losgeht. Seit nunmehr knapp sechs Jahren ist Irmgard Knef unverändert geblieben - voll hintergründigem Witz und von würdevollem Charme.
Mit unvergleichlicher Bravour meistert Ulrich Michael Heissig die Tonlage der Knef in jedem Chanson, in jeder Bemerkung. Das Thema des Scheiterns ist eines, das Irmgard ein Leben lang begleitet hat. Trotzdem legt ihr Darsteller großen Wert darauf, die innere Aufbruchsstimmung dieser alten Dame energievoll umzusetzen.
Verhinderter Star, aber kämpferisch offen
Einerseits ist Scheitern ein Thema, aber das Umgehen damit ist so kämpferisch und offen und auch so lebensbejahend, dass es das fast schon wieder aufhebt. Also, die Larmoyanz ist ja nur eine augenzwinkernde, und wäre sie wirklich gescheitert, dann stünde sie ja nicht auf einer Bühne. Sie ist ja nur die kleine Schwester, deshalb nicht die großen Konzertsäle oder das Burgtheater, sondern die Kulisse oder kleine Brettelbühnen, aber es schwebt immer der Gedanke darüber: Ich hätte auch können, wenn man mich nur gelassen hätte. Das schwebt immer drüber - die verhinderte Diva.
Verkannt, verleugnet, vergessen
Mit diesen Attributen ausgestattet, entließ der Schauspieler und Autor Ulrich Michael Heissig seine Figur einst auf die Kleinkunstbretter. Mit Herz, Hirn und einer Brise Frivolität erzählte sie damals von ihrem glücklosen Leben als ewige Zweite. Beim Casting kam sie stets gemeinsam mit Hildegard, die im Gegensatz zu ihr niemals heimgeschickt wurde. Vom Leben der berühmten Schwester durfte Irmgard immer nur dann ein Stückchen erhaschen, wenn sie für Hildegard irgendwo einspringen musste. Während Hilde ihre ersten Erfolge in Hollywood feierte, trieb sich Irmgard in der Kreuzberger Kneipenwelt herum.
Nach dem Tod von Hildegard Knef erlaubte Ulrich Michael Heissig seiner Bühnenfigur, sich weiter zu entwickeln, sich von der Zwillingssituation zu emanzipieren. Im Herbst 2002 feierte er Premiere mit seinem zweiten Solo als Irmgard - beziehungsvoller Titel dieser Produktion ...
... "Schwesterseelenallein"
In diesem Programm geht es um Irmgard. Das war ein ganz konsequenter Schritt der Weiterentwicklung aber kein Teil 2. Es ist nicht mehr der Vergleich, was hat Hilde gemacht, was habe ich gemacht, auch die Zwillingsthematik ist in den Hintergrund getreten, und es wird nur mehr die Schwester betont - sagt auch der Titel "Schwesterseelenallein. Sonst hätte es ja auch heißen können: "Ein Zwilling ist leider allein. Es ist der Versuch, dem nachzuspüren, was diese großartige Künstlerin Hildegard Knef an Ideen und Stilprägung im Chansonbereich hinterlassen hat, und sich davon inspirieren zu lassen. Sie hat sogar aktuelle Kommentare zu Österreich in ihrem Programm, weil sie ja auch Zeitung liest, wenn sie in Österreich ist.
Nachtklub statt Altersheim
Während andere Alterskolleginnen vielleicht stricken oder Karten spielen, lässt Heissig seine Irmgard Chansontexte schreiben. Der kokette Blick, den man hinter den großen Sonnenbrillen eigentlich nur erahnen kann, die Freude am Spiel mit dem Feuer, die Formel Nachtklub statt Altersheim - das alles macht sie aus, die verkannte Irmgard, die langsam und gemäßigten Schrittes die Bühne für sich nicht nur entdeckt, sondern gleich erobert.
Für kommenden Mai ist das dritte Irmgard-Programm geplant. Dann wird Ulrich Michael Heissig seine Bühnenfigur als "Letzte Mohikanerin einer aussterbenden Künstlergattung präsentieren. Davor zeigt er sich am Freitag, dem 25. Februar, und Samstag, dem 26. Februar, in Wien noch einmal ganz als Diva.
"Contra"-Tipp
In den vergangenen Wochen hat er wieder einmal als potentieller Vertreter Österreichs beim Songcontest 05 in Kiew von sich reden gemacht: Alf Poier. Der umtriebige Allround-Künstler wird aber nicht nur am 25. Februar bei der österreichischen Ausscheidung "song.null.fünf" teilnehmen und sein leicht abgeändertes Requiem für Europa präsentieren - ab morgen ist auch sein neues Buch mit dem Titel "Mein Krampf im Handel erhältlich, herausgegeben im Verlag Genie & Wahnsinn.
Dem Buch folgt am 7. März die neue CD von Alf Poier: "Lustige Lieder der Traurigkeit und Not nennt der Kabarettist und Performer seinen Tonträger, auf dem er seine nicht ausschließlich heiteren Songs zur Zeit zusammengefasst hat. Mit dabei natürlich auch sein Requiem für Europa und einige andere Hervorbringungen aus der philosophischen Kunstwerkstatt Poier.
Mehr zu Ulrich Michael Heissig im Ö1 Exklusiv-Interview in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Alf Poier, "Mein Krampf - ein geistiges Sterbebuch", Verlag Genie&Wahnsinn, ISBN 3-200-00286-7
CD-Tipp
Alf Poier, "Lustige Lieder der Traurigkeit und Not ", René Berto Musikverlag, Vertrieb Sony
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