Ursachenforschung in Sachen Arm - Reich
Wer hat, dem wird gegeben
"Der Sozialstaat ist unfinanzierbar"; "Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt"; "Liberalisierung und Deregulierung sind unausweichlich" - Thesen, die man häufig hört. In Linz haben Wirtschaftsethiker und Gewerkschafter Gegenpositionen formuliert.
8. April 2017, 21:58
Karin Küblböck über die Situation am Freien Markt
"Vermögende muss man schützen, denn sie allein garantieren Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen - "Dem 'Standortwettbewerb sei nicht auszukommen, er zwinge zu Steuererleichterungen für Unternehmen und solidarischen Opfern von ArbeitnehmerInnen. - Gegen diese und andere mediale und politische Wirkmechanismen opponierte jüngst eine Fachtagung in Linz mit hochkarätigen Experten aus Wirtschafts- und Sozialwissenschaft, Philosophie, Theologie und Entwicklungspolitik - mit Fakten, Daten und wissenschaftlich fundierten Ursachenanalysen.
Verhältnis Gewinnsteuer - Lohnsteuer
"Alle Leute, die arbeiten gehen, zahlen immer mehr Steuern. Unternehmen, die sozusagen Gewinne machen, zahlen davon immer weniger Steuern. Haben 1965 in Österreich die Gewinnsteuern noch 28 Prozent zum Gesamtsteueraufkommen beigetragen, sind es heute nur noch die Hälfte. Gleichzeitig hat sich der Anteil der Lohnsteuern seit dieser Zeit von zehn auf 30 Prozent verdreifacht,
bringt es Karin Küblböck, Obfrau von attac Österreich, auf den Punkt. Auch Franz Gall, Referent für Wirtschaftspolitik in der Arbeiterkammer Oberösterreich, schlägt in die gleiche Kerbe:
Bis 1988 hat es noch einen Gewinnsteuersatz - also Körperschaftssteuersatz - von bis zu 55 Prozent gegeben; zusätzlich waren Gewerbesteuer und Vermögenssteuer zu bezahlen. Dann hat man den Steuersatz auf zuletzt 34 Prozent gesenkt, Gewerbesteuer und Vermögenssteuer abgeschafft, und für 2005 sind nur noch 25 Prozent Gewinnsteuersatz übrig geblieben.
OECD-Vergleich bedenklich
Mit seinen Gewinnsteuern liegt Österreich unter dem OECD-Durchschnitt, mit seinen Vermögenssteuern bildet es überhaupt das OECD-Schlusslicht. Dazu kommen Angebote wie das Privatstiftungswesen, das Kapital, so es in der Stiftung angelegt ist, gänzlich steuerfrei macht, während jeder Sparbuch-Euro mit 25 Prozent Kapitalertragssteuer belastet wird. Küblböck dazu:
"Würden allein Gewinn- und Vermögenssteuer auf EU-Durchschnitt angehoben, brächte das dem Staat Österreich sieben Milliarden Euro jährlich ein - das Budgetdefizit, für das kommende Jahr auf fünf Milliarden Euro geschätzt, wäre hinfällig; im Gegenteil, ein Budgetüberschuss wäre erzielt".
Schere zwischen Arm und Reich wird größer
Der Finanzexperte Franz Gall erinnert auch an die Erhöhung von Massensteuern und Gebühren und moniert, dass eine Wertschöpfungsabgabe für Unternehmen trotz mittlerweile jahrzehntelanger Diskussion immer noch kein ernsthaftes politisches Thema sei. Firmen, die rationalisierten und Menschen durch Maschinen ersetzten, würden steuerlich begünstigt, da Sozialbeiträge der Dienstgeber allein für LohnempfängerInnen anfielen:
"Der Rückzug von Akteuren aus der Finanzierung des Sozialstaates einerseits und die höhere Belastung der verbleibenden Lohn- und GehaltsempfängerInnen andererseits wird noch dadurch verschärft, dass aufgrund wachsender Arbeitslosigkeit und des Anstiegs prekärer Arbeitsverhältnisse wie Teilzeit oder geringfügige Beschäftigung die Beitragsleistungen sinken. Außerdem ist der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen in den letzten Jahrzehnten beständig geschwunden, was nicht nur eine Schere zwischen Löhnen und Unternehmensgewinnen auftut, sondern auch im Geldbörsel des einzelnen sichtbar wird."
Umverteilung unumgänglich
Aber nicht nur die Arbeitnehmer-Einkommen sind gesunken. Alois Guger vom Wirtschaftsforschungsinstitut meint, es habe sich auch innerhalb der Arbeitnehmer die Einkommensschere enorm aufgetan:
"Das untere Fünftel in der Einkommensverteilung ist seit Beginn der 90er Jahre nominell um elf Prozent gesunken, aber die obersten fünf Prozent haben einen Zuwachs von 20 Prozent gehabt. Das eigentliche Problem heutzutage ist nicht die Produktion und die Knappheit in unserer Ökonomie, sondern dass die Gewinnquote steigt, während die Investitionsquote sinkt. Heute geht es rein um die Ausnützung von Gewinnspannen, nicht um reale Investitionen. Der entscheidende Ansatzpunkt wäre, umzuverteilen: erstens zu den Löhnen und zweitens, dass innerhalb der Masseneinkommen oder der Lohnempfänger gleichmäßiger verteilt wird zu jenen, die ihr Einkommen auch ausgeben und nicht sparen".
Sozialstaat gefragt
"Je höher die Sozialausgaben in einem Land sind, desto niedriger ist der Anteil der Bevölkerung, der armutsgefährdet ist, sagt Christine Stelzer-Orthofer, Assistenzprofessorin am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik der Universität Linz. In Österreich steigt die Zahl der armen bzw. armutsgefährdeten Personen. Bereits elf Prozent sind von Armut bedroht. Im Durchschnitt verliert heute ein Arbeitnehmer alle eineinviertel Jahre seinen bzw. ihren Arbeitsplatz. Die Hälfte aller BezieherInnen von Arbeitslosengeld bekommt eine Unterstützung von weniger als 670 Euro, die mittlere Notstandshilfe liegt bei 530 Euro. Auch die Zahl der Personen, die trotz Einkommen durch Erwerbsarbeit unter die Armutsgrenze fällt, steigt.
Über Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit
Es werde gegenwärtig die Chancengleichheit gegen die Verteilungsgerechtigkeit ausgespielt, sagt Professor Friedhelm Hengsbach, Leiter des Oswald von Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik in Frankfurt:
"Dass Leute, die mit dem Kopf arbeiten, um so viel mehr verdienen als diejenigen, die sich bei der Arbeit die Hände dreckig machen, hat etwas mit der Philosophie zu tun, dass gleichsam der Geist immer höher bewertet wird als der Körper. Wie also verteilt wird, ist oft sehr willkürlich und hängt mit vielen Traditionen, Gewohnheiten, Machtverhältnissen oder auch Rollenmustern ab."
Zu wenig Motivation oder Gerechtigkeitsdefizit?
"Wer seine Existenz durch Erwerbsarbeit nicht sichern kann, ist falsch oder schlecht qualifiziert oder zu wenig motiviert", heißt es allgemein. Diese Behauptung sei falsch, meint der deutsche Theologe Matthias Möhring-Hesse:
"Arbeitsgesellschaften zwingen Menschen zu Erwerbsarbeit und machen diese zum Schlüssel der gesellschaftlichen Teilhabe. Wenn man aber das zur Geschäftsgrundlage einer Gesellschaft macht, aber zunehmend mehr Menschen keine Chance auf dem Arbeitsmarkt lässt, also keine Chance lässt, das zu tun, wozu man sie zwingt, schafft man ein Gerechtigkeitsdefizit. Und das ist Arbeitslosigkeit".
Beschäftigungsdefizite könne man beispielsweise gleichmäßig auf die Schultern der arbeitenden Bevölkerung verteilen, so Möhring-Hesse, etwa mittels Auszeiten, Sabbatjahren oder der Extensivierung, also künstlichen Ausdehnung von Arbeit, indem man Qualifizierung und Mitbestimmung als neue Bestandteile der Tätigkeit hinzufügt, oder auch mit der Einführung von Optionsscheinen auf Arbeitsvolumen, mit denen die Erwerbstätigen eigenständig hantieren könnten.
Weitere Lösungsvorschläge
Instrumentarien im Dienst einer gerechteren Verteilung sowohl zwischen den Kontinenten und Ländern als auch innerhalb einzelner Länder liegen viele parat: Dazu gehören u. a. Entschuldung, Modelle wie die Tobinsteuer zur Regulierung der Finanzmärkte, das Zugeständnis einer autonomen nationalen Industrie- und Sozialpolitik, stärkere Besteuerung von Vermögen und Einkommen auf nationaler Ebene, Entlastung des Faktors Arbeit auf der anderen Seite, die Demokratisierung der Verteilung vorhandener Arbeitsvolumen, ein realistischerer Blick auf den Menschen, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten in vorgegebenen gesellschaftlichen Strukturen. Nur ob sie auch umgesetzt werden, steht auf einem anderen Blatt.
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