Die hundert bedeutendsten Autoren der Weltliteratur

Genius

Harold Blooms Buch scheint sich trefflich in den Zeitgeist zu fügen: Die Kulturindustrie liebt "Rankings" und das Publikum scheint sich hauptsächlich dafür zu interessieren, wer in diesen Wettrennen welchen Platz einnimmt. Harold Bloom liefert eine neue Variante.

In der Arena des Harold Bloom gilt ein weit gefasster Begriff von "Weltliteratur": die Jahwistin, die angebliche Autorin der ersten Bücher des Alten Testaments, zählt genauso dazu wie Mohammed, Sigmund Freud, Nietzsche oder Augustinus. Der Schwerpunkt seiner Auswahl liegt in der Literatur der westlichen Zivilisation und Bloom zieht den konventionellen Bogen von der Antike zur Renaissance, dem Barock und den großen Erzählern des 19. Jahrhunderts.

Die österreichische Literatur ist überraschenderweise durch einige Bemerkungen über Hofmannsthal vertreten, der - hier schreibt Bloom einen ironischen Mythos des "Jungen Wien" fort - das Potenzial zu einem zweiten Goethe gehabt hätte.

Die 100 bedeutendsten Autoren der Weltliteratur sind allesamt verstorben, nur drei kann man als "zeitgenössisch" bezeichnen und Bloom bezweifelt, ob - von José Saramago einmal abgesehen - "überhaupt irgendein Schriftsteller je wieder in der Lage sein wird, Literatur hervorzubringen."

100 exemplarische literarische Begabungen

So weit, so schlecht. Wer Bücher liebt, wird jedoch eines, das den Titel "Die 100 bedeutendsten Autoren der Weltliteratur" trägt, ohnedies nur mit der Feuerzange anfassen. Doch tatsächlich hat den Titel der deutsche Verlag verbrochen, Harold Bloom bietet im Original ein sperriges "Mosaik von 100 exemplarischen literarischen Begabungen". Schon der erste Absatz dementiert den deutschen Titel: Hier geht es "gewiss" nicht um "die oberen Einhundert" - weder nach allgemeiner noch nach Harold Blooms Beurteilung -, es geht ihm um 100 Autoren und Autorinnen, die er für Genies hält und über die er schreiben will.

Literatur ist für Bloom nicht das Medium, in dem sich eine Gesellschaft widerspiegelt, sondern eine eigenständige soziale Macht, welche die Gesellschaft dadurch gestaltet, dass sie ihren Wahrnehmungsraster formt.

Kult ums Genie

Der Gedanke verweist ebenso auf die Romantik, wie Blooms offensichtlicher Kult um das Genie. Ein literarisches Genie erkennt man daran, dass es eine spirituelle Macht auf den Leser ausübt und ihm Kraft, Originalität, Kühnheit, Selbstvertrauen und Vitalität gibt.

Ein Genie steht gleichzeitig in und über der Zeit, doch gebe es einen inneren Zusammenhang zwischen den behandelten 100 Autoren, und diesen Zusammenhang versucht Bloom zu rekonstruieren und bedient sich dabei eines geheimnisvollen, der Kabbala entlehnten Ordnungssystems. Manche Autorinnen und Autoren werden in langen Essays behandelt, manche in kurzen, manche gemeinsam, manche isoliert, von manchen wird ein unbekanntes Nebenwerk vorgestellt.

Literatur statt Religion

Das Lesevergnügen leidet unter der Sprunghaftigkeit Blooms und gelegentlich bezweifelt man auch seine Kompetenz: Kann man etwa den Wiener Kreis wirklich in der Ära vor 1918 platzieren? "Genius" ist von einem Autor verfasst, der einen hohen Rang in der akademischen Welt hat, aber es ist sicher kein wissenschaftliches Buch, sondern eher Lebenszeugnis eines streitbaren Autors, der die Literatur an die Stelle der Religion gesetzt hat und seine "heiligen Schriften" zu ordnen versucht.

Buch-Tipp
Harold Bloom, "Genius. Die hundert bedeutendsten Autoren der Weltliteratur", übersetzt von Yvonne Badal, Knaus Verlag, ISBN: 3813502430