Wie entsteht Wissenschaft?

Die Macht des Wissens

Denken entsteht eingebettet in die kulturelle und gesellschaftliche Umgebung. Vor dem Hintergrund dieser Überzeugung stellen Wissenschaftshistoriker in einem Sammelband die Entstehung der modernen - europäischen - Wissensgesellschaft dar.

Unsere - westliche - Gesellschaft wird oft als Wissensgesellschaft bezeichnet und damit gerne von der Industriegesellschaft der Moderne abgegrenzt. Doch eigentlich haben sich Menschen seit jeher in den verschiedensten sozialen, kulturellen und politischen Verhältnissen auf "Wissen" berufen - und immer schon galt, dass derjenige der über Wissen verfügte auch Macht hatte.

"Die Macht des Wissens"

Wie aber haben sich im Laufe der Geschichte verschiedene Wissenskulturen gegenseitig beeinflusst? Wo kommen die Wissenschaften her und welche Funktionen erfüllen sie?

Diesen Fragen gingen die beiden Historiker Richard van Dülmen und Sina Rauschenbach in dem von ihnen herausgegebenen Band "Die Macht des Wissens nach". Sie haben Wissenschafter verschiedenster Disziplinen eingeladen, Geschichten ihrer jeweiligen Disziplinen eingebettet in die allgemeine Geschichte in einer bestimmten Zeitspanne zu erzählen.

Kepler, Copernicus und Galilei

Dem Aufbruch in der Renaissance widmet sich der erste Teil der Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Herausragendes Beispiel aus dieser Zeit ist der in Polen geborene Mathematiker Copernicus, der als Begründer des heliozentrischen Weltbildes gilt. Er hat die Sonne in den Mittelpunkt unseres Universums gerückt.

Den wirklichen Durchbruch, das wirklich Neue schaffte nach Ansicht des Berliner Technikhistorikers Eberhard Knobloch aber eigentlich ein anderer rund 60 Jahre später: Johannes Kepler.

Unterschiedlich rezipiert, unter anderem von der mächtigen katholischen Kirche, und akzeptiert ist Copernicus, Kepler und auch Galileo Galilei eines gemeinsam. Sie legten auf Dauer die Mathematik als wesentlichen Grundstock für die Naturwissenschaften fest.

Der ideale Herrscher

Wissenschaftliche Revolutionen und neues Wissen stellen auch neue Ansprüche an den perfekten Herrscher, sie verändern dem Traum vom idealen Herrscher. Sina Rauschenbach zeigt den Wandel dieser Vorstellungen anhand von fünf Schriften, verfasst zwischen 1516 und 1730.

Während Erasmus von Rotterdam 1516 noch aus moralischen Gründen Ansprüche vor allem an das humanistische Wissen des Herrschers stellte, verlangte Christian Wolff rund 200 Jahre später vom idealen Fürsten umfassende Gelehrigkeit in allen Disziplinen und in der Wahrscheinlichkeitsrechnung, um die Geschicke seines Landes durch wissenschaftliche Ein- und Voraussicht zu kontrollieren.

Im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts wird das Idealbild des vollkommenen Fürsten dann immer weniger relevant. Die Idee, der vollkommene Herrscher müsse auch ein vollkommener Mensch sein, verliert zusehends an Bedeutung. An die Stelle des aufgeklärten Monarchen tritt schließlich das Ideal vom aufgeklärten Volk.

Das Revolutionszeitalter

Das Revolutionszeitalter bringt nicht nur breit gestreute Initiativen zur Wissenschaftspopularisierung - europäische Gelehrte beginnen sich auch kritisch mit der eigenen Geschichte und Wissenschaftsgeschichte auseinander zu setzen.

Und es beginnt eine intensive Beschäftigung mit außereuropäischen Erfahrungen. Diese wiederum legte einen wesentlichen Grundstein für spätere universitäre Disziplinen wie Ethnologie, Anthropologie, Kulturgeschichte oder vergleichende Kulturwissenschaften.

Mit der Institutionalisierung von wissenschaftlichen Disziplinen, mit der Begründung der Humboldt'schen Universität 1810 enden dann auch die Geschichten, mit denen Richard van Dülmen und Sina Rauschenbach und ihre Co-Autoren einen Einblick in die Meilenstein und Zusammenhänge der Entstehung der modernen Wissensgesellschaft geben.

Buch-Tipp
Richard van Dülmen, Sina Rauschenbach (Hg.), "Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft" (2004), böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien, ISBN 3412133035