Dylan Thomas, präsentiert von Elke Heidenreich
Versoffenes Genie mit Strahlkraft
Seine Texte waren sprachliche Feuerwerke, seine Lesungen Happenings, sein Leben kurz: Dylan Thomas. Dem walisischen Dichtergenie ist nun eine CD gewidmet, die u. a. dokumentarische Lesungsausschnitte im englischen Originalton enthält.
8. April 2017, 21:58
"Erstens", sagte Dylan Thomas über sich selbst, "bin ich Waliser, zweitens Trinker, und drittens liebe ich die Spezies Mensch, vor allem Frauen". Von herkömmlicher Sprache ließ er sich nicht unterjochen: Er bog sie sich mit nahezu unheimlicher dichterischer Kraft so zurecht, wie er sie gerade brauchte. Aus Nomina machte er kurzerhand Verben und Adjektive, wie es ihm gerade passte.
Seine Erzählungen und Gedichte bergen eine Überfülle an gewagten Satzkonstruktionen und paradoxen Bildern mit symbolistischen Anklängen. Für einen jungen Folkmusiker aus den USA namens Robert Zimmermann war die Sprachgewalt dieses walisischen Dichters ein Vorbild, dem er auch in seinen eigenen Texten nacheiferte. Aus Verehrung für sein Idol nannte er sich später Bob Dylan.
Llareggub und seine gestörten Bewohner
"Unter dem Milchwald. Ein Spiel für Stimmen" nannte Dylan Thomas sein bekanntestes Opus, das wohl auch seinen größten Wurf darstellt. Oft wird "Unter dem Milchwald" als tragikomische Beschreibung eines merkwürdigen walisischen Seehafens namens Llareggub und seiner kauzigen Bewohner missverstanden. Doch in diesem Porträt ländlicher Verschrobenheiten ist ein wesentlich bissigerer Subtext verborgen. Liest man den Ortsnamen Llareggub rückwärts, so erhält man "Buggerall", was etwa so viel bedeutet wie "Alles Sodomisten". Die Einwohnerschaft setzt sich bei näherer Betrachtung aus Bigamisten, Nekrophilen, Nymphomanen, Satanisten und Kannibalen zusammen. Psychische Störungen, Alkoholismus und Fremdenfeindlichkeit werden zu Überlebensstrategien in der scheinbaren Idylle.
Den Welterfolg des BBC-Hörspiels aus dem Jahr 1954 mit Richard Burton als Erste Stimme erlebte der Ende Oktober 1914 geborene Dichter nicht mehr. 18 Whiskeys vor einer szenischen Lesung seines Stücks und ein darauf folgendes Trinkgelage waren zu viel. Am 9. November 1953 starb Dylan Thomas nach viertägigem Koma im Alter von nur 39 Jahren.
Präsentiert von Elke Heidenreich
Elke Heidenreich, Deutschlands populärste Literatur-Präsentatorin, hat dem in Mitteleuropa wenig und da vor allem Spezialisten bekannten Dichter bei der Abschlussgala der lit.COLOGNE 2004, dem Kölner Fest der Literatur, ein Porträt gewidmet. Zu hören war da der walisische Lyriker im Originalton; der Wahl-Ire Raoul Schrott und Hannelore Elsner stellten ins Deutsche übertragene Texte von Dylan Thomas, sowie Auszüge aus der Autobiografie seiner 1994 verstorbenen Frau Caitlin vor.
Für musikalische Akzente sorgte der Kölner Singer/Songwriter Michael Hansonis mit Vertonungen von Gedichten aus der Feder des Poeten. Random House hat den Mitschnitt dieser Veranstaltung jetzt auf CD herausgebracht.
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Hörbuch-Tipp
"Dylan Thomas, vorgestellt von Elke Heidenreich", mit Rezitationen von Raoul Schrott und Hannelore Elsner und mit Gedichtvertonungen von Michael Hansonis, Random House Audio