Renata Tebaldis betörendes Piano

Engelsstimme und Callas-Rivalin

Sie hatte eine der schönsten Sopranstimmen des 20. Jahrhunderts: Renata Tebaldi, die am vergangenen Wochenende gestorben ist. Ihren Durchbruch hatte die Callas-Rivalin an der "Scala" unter Toscanini. Ihre internationale Karriere führte sie von der "Met" bis Wien.

Sie war eine vollkommene Dame. Höflich und herzlich, "strahlend und elegant wie so viele der Persönlichkeiten, die sie so wunderbar interpretiert hat", schrieb ein Kritiker einmal: Renata Tebaldi, die in der Nacht zum vergangenen Sonntag im Alter von 82 Jahren in ihrem Haus in San Marino gestorben ist. Mit ihrem Tod verliert die Welt eine der größten Sopranistinnen der Nachkriegszeit. Die italienische Medien würdigten sie als "süßen, himmlischen Mythos".

Der Vergleich der "Engelsstimme" mit Maria Callas verfolgte Tebaldi zeitlebens, manchmal wurde sie gar - ungerechterweise - als "Anti-Callas" bezeichnet. Die überwältigende Bühnenpräsenz und das Temperament ihrer Kollegin erreichte Tebaldi zwar tatsächlich nie. "Aber ich habe etwas, was die Callas bestimmt nicht hat - nämlich Herz", sagte die ansonsten eher zurückhaltende Sängerin einmal fast trotzig. Und dieses Herz gehörte vor allem zwei Komponisten: Verdi und Puccini. Verdi, "weil seine Musik wie eine Medizin ist, die Dich begleitet"; Puccini, "weil er so modern ist", erklärte Tebaldi in einem Interview. Das Weiche und Süße, "das betörende Piano" waren eben ihr Metier.

Callas über Tebaldi

"Wenn sie gut singt, bin ich die Erste, die sich darüber freut", soll Maria Callas einmal über die Konkurrentin gesagt haben, aber vergleichen könne man sie nicht miteinander. "Das wäre, als wenn man Champagner mit Coca-Cola vergleicht."

Selbst eingeschworene Tebaldi- Bewunderer mussten einräumen, dass ihr die alles überstrahlende Präsenz der Callas abging. Eher zurückhaltend, vorsichtig betrat Renata Tebaldi die Bühne. Dazu passte, dass sie sich in 30 Bühnenjahren keinen einzigen Skandal leistete.

"Unauflösliche Liebesbeziehung" zur Oper

"Mit der Oper verband mich über die längste Zeit meines Lebens eine schier unauflösliche Liebesbeziehung. Der Gesang war der Inhalt meines Lebens, so sehr, dass ich nie eine Familie gründen konnte", sagte die Primadonna einmal von sich selbst.

1973 zog sie sich von den Opernbühnen der Welt zurück und lebte fortan - ihrem Temperament entsprechend - zurückgezogen in Mailand und San Marino. "Ich habe nicht mehr gesungen, weil ich eine gute Erinnerung von mir hinterlassen wollte", erklärte sie später. "Ich weiß, dass ich die Herzen so vieler Menschen erreicht habe. Wie könnte ich dafür nicht dankbar sein?", äußerte sie einmal.

Durchbruch der "Engelsstimme" unter Toscanini

1922 in Pesaro geboren, hätte Renata ursprünglich Drogistin werden sollen. Sie wuchs in kleinen Verhältnissen auf, mit drei Jahren erkrankte sie an Kinderlähmung. Erst mit sechs Jahren lernte sie wieder gehen. Vielleicht war es dann letztlich ihr Vater, ein mittelloser Orchestermusiker, der ihr den Weg zur Gesangsschule von Parma ebnete.

Den großen Durchbruch verschaffte ihr Arturo Toscanini, der die damals 24-Jährige 1946 zur Wiedereröffnung der kriegszerstörten Mailänder Scala holte. Sie sang Verdis "Te Deum", so überzeugend, so sanft, so weich, dass Toscanini ihr den Namen "Engelsstimme" verlieh.

Internationale Karriere

"Sie hat eine weiche und runde Stimme, zauberhaft einschmeichelnd in ihren Kopftönen, strahlend im Glanz des Forte", schwärmten Bewunderer nach dem internationalen Durchbruch, den die Tebaldi 1955 in der "Metropolitan Opera" in New York mit der Desdemona in Verdis "Othello" feierte. Amerika lag ihr fortan zu Füßen, die dortigen Erfolge ließen sie in den 60er Jahren zeitweise zur Fremden in der eigenen Heimat werden. Sie sang alle großen Rollen, von der Aida bis zur Tosca und trat mit Tenören wie Mario Del Monaco, Franco Corelli, Richard Tucker und Placido Domingo auf.

1950 trat Tebaldi als "Aida" an der "San Francisco Opera" zum erstenmal in den USA auf. Dem großen Erfolg an der "Met" folgten weitere als Mimi in "La Boheme", als Maddalena in Giordanos "Andrea Chenier" und in "Tosca" - umjubelt wurde sie in dieser Rolle besonders im Mai 1958 in Wien unter Herbert von Karajan. Tebaldi war vor allem als Verdi- und Puccini-Interpretin von überragender Bedeutung, hat aber auch Mozart und französische Partien, die Tatjana in Tschaikowskys "Eugen Onegin" und die Elisabeth im "Tannhäuser" gesungen. In Clemente Frascassis "Aida"-Film (1954) lieh sie Sophia Loren ihre Stimme.

Zeitweise Fremde im eigenen Land

"Das Lyrische, das Weiche und Süße, das betörende Piano", versetzte die Kritiker immer wieder in Verzückung. Vor allem ihre Erfolge in Amerika ließen Renata Tebaldi in den 60er Jahren zeitweise zur Fremden im eigenen Land werden. In Paris erhielt sie einmal nach einer "Aida"-Aufführung 45 Vorhänge.