Gespaltenes Land
Brennpunkt Ukraine
Ein Großteil der Bürger vermutet Wahlbetrug. Der Oberste Gerichtshof schaltet sich ein, lässt die Auszählung vorerst auf Eis legen. Kommt Ihnen das bekannt vor? Nein, die Rede ist nicht von den USA im Jahr 2000. Sondern von der Ukraine jetzt und heute.
8. April 2017, 21:58
Noch macht man sich in der Ukraine lustig über die Lage: Ein Mann kommt mit völlig zerdrückter Kleidung in die Arbeit. Sein Kollege fragt ihn, warum er so aussieht. "Ach, ich habe mir im Fernsehen angesehen, wie Putin Viktor Janukowitsch lobt. Da hab ich den Kanal gewechselt, und auch dort war wieder Putin, der sich lobend über Janukowitsch äußert. Ich schalte wieder um, und auch dort das gleiche Bild. Also hab ich mir gedacht, es macht auch keinen Sinn, das Bügeleisen einzustecken."
Zweierlei Maß
Die Europäische Union stellt sich auf die Seite von Viktor Juschtschenko, dem Mann, der davon ausgeht, dass er bei der Stichwahl die meisten Stimmen bekommen hat. Vladimir Putin, der - siehe Tschetschenien - in seinem Hinterland alles machen darf, was überall sonst (zu recht) zu Aufschreien führt, puscht seinen Kandidaten, den anderen Viktor. Er darf das, so sieht er das jedenfalls selbst, nicht aber die EU, die das Wahlergebnis überprüfen lassen möchte. "Niemand hat das moralische Recht, ein großes europäisches Land ins Chaos zu stürzen," donnert er bei seinem Besuch in Den Haag. Aber diesmal ziehen wenigstens Europäer und Amerikaner an einem Strang.
Kommt der Kalte Krieg zurück?
Außenminister Colin Powell hat sich so eindeutig geäußert, wie man das von diesem höchsten (wenn auch im Abgang befindlichen) Diplomaten der USA schon lange nicht mehr gehört hat: das Wahlergebnis wird nicht anerkannt, und "ernste Konsequenzen" könne auf das ukrainisch-amerikanische Verhältnis zukommen, wenn dem Wahlbetrug nicht auf den Grund gegangen werde. Und die Europäer haben sich beim Gipfel mit Putin nicht viel anders verhalten. Wo bleibt der viel gepriesene Pragmatismus im Verhältnis zwischen Putin und Bush, zwischen Russland und der EU?
Russlands Interessen
Putin kann die Ukraine nicht so einfach aus seinem Einflussgebiet entlassen. Aus wirtschaftlichen und aus militärischen Gründen - wie der Innsbrucker Politologe Gerhard Mangott im Freitag-"Mittagsjournal" erklärt hat, plant Russland mit der Ukraine und dem benachbarten Kasachstan eine Wirtschaftsgemeinschaft. Darüber hinaus laufen über die Ukraine 90 Prozent aller Gaslieferungen nach Europa, der Hafen Sewastopol ist der wichtigste Standort der russischen Flotte im Schwarzen Meer.
Sollte der westlich orientierte Juschtschenko an die Macht kommen, könnte er sich der NATO annähern (wie das etwa die baltischen Staaten getan haben) und natürlich auch mit der EU neue Bande knüpfen (schon wieder ein Riesenmoloch, der an der europäischen Türe anklopft...)
Noch ist es nicht so weit, noch kann die Ukraine ihre Probleme ohne Einmischung von außen lösen (der Einspruch des Obersten Gerichtshofes lässt diese Hoffnung zu) aber, ob Putin etwas Anderes als die Einsetzung seines Proteges gestatten wird, kann sich auch als echte Nagelprobe für Demokratie a la Putin in Russland erweisen. Und daran wird auch das weitere Verhältnis Moskau-Washington-Brüssel zu messen sein.
Mehr zur Situation in der Ukraine in Ö1 Inforadio