Ungarischer Autor, wieder entdeckt

Sandor Marai

Seit dem Erfolg des Romans "Die Glut" erlebt das Werk des 1989 gestorbenen Ungarn Sandor Marai eine Renaissance. Weitere Werke wie "Das Vermächtnis der Esther" oder die "Bekenntnisse eines Bürgers" machen ihn posthum zu einem großen europäischen Autor.

1900 in Kaschau, der heutigen Stadt Kosice in der Ostslowakei, in einem reichen ungarisch-deutschem Bürgertum geboren, zog es Sándor Márai 1919 in den Westen: zunächst über Prag und Wien nach Leipzig, Frankfurt, Berlin, Paris und schließlich Budapest. Er veröffentlichte in den folgenden Jahren an die 20 Romane, die ihm internationalen Erfolg einbrachten.

1948 verließ er mit seiner Frau und dem gemeinsamen Adoptivsohn das kommunistisch gewordene Ungarn, "wo nicht nur die freie Rede und Schrift verboten war, sondern auch das freie Schweigen". Die Emigration führte ihn über die Schweiz in die USA. Auch im Exil schrieb Márai weiter, geriet aber zunehmend in Vergessenheit. 1989 nahm er sich das Leben. Über das Sterben dachte er aber schon 1967 nach.

Am 21. Februar 1967 verfasste Sandor Marai einen akustischen Brief an seine Familie:

Mami, Janika!

Bevor ich diesen Tape-Recorder zurückgebe, den ich gestern ausgeliehen habe - das ist mein letzter Vortrag, dear listener -, möchte ich etwas sagen. Vielleicht hört Ihr beide dieses Tonband an, oder vielleicht hört nur eine oder der andere zu. Ich möchte sagen, dass was ich noch zu erledigen habe, so weit es möglich ist, habe ich alles aufgeschrieben, als Testament, dies und das ist da im Safe. Was ich überhaupt nicht erledigen kann, ist die Frage, was ich mit meinen Manuskripten machen soll. Ich habe viel nachgedacht, und ich kenne hier niemanden, kein Institut, keine Privatperson, denen ich diese Manuskripte ruhig überlassen könnte, denn die Gefahr ist groß, dass sie verloren gehen, sie kümmern sich nicht um sie, oder kümmern sie sich um sie, vielleicht wäre das auch nicht ganz gut.

Im Safe, in meinem Testament, habe ich geschrieben, dass es hier diese Rurgers University gibt, dass man sie vielleicht da deponieren könnte, aber inzwischen habe ich nachgedacht, das wäre nicht gut, hier kann man niemandem vertrauen.

Ich bitte Dich darum, mein Janika, wenn es so kommen sollte, dass Du einmal in dieser Sache entscheiden musst, dann packe diese Manuskripte, die ich natürlich vorbereite, gut ein, so, dass kein Wasser, kein Staub, keine Zeit ihnen schadet, in Wachsleinen und so weiter, und bewahre sie auf. Vilmos Juhász ist vielleicht geeignet dafür, sie durchzulesen, was man von ihnen herausgeben kann, was man mit ihnen überhaupt machen kann, er ist aber auch ein alter Mann, wer weiß, bis das Ganze dazu kommt, wird er noch da sein?

Bewahre die Manuskripte auf, und wenn einmal die Russen aus Ungarn weg sind, geheime Wahlen organisiert wurden und ein Verfassungsstaat wiederhergestellt wurde, dann, aber nicht früher, muss man mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften Kontakt suchen und sie dort hinterlegen, damit sie sie bewahren, so lange Du als Erbe, und natürlich in erster Linie Mami als Erbin, nicht anders über sie verfügen wollt.

Bitte mach das, Janika. Bis dahin aber, hoffe ich, bleibt Ihr noch lange zusammen. Ich empfehle euch, dass man diese Ithaka-Sache fortsetzen kann, und nicht die alte, sondern aus den nicht-edierten Manuskripten manchmal einige - so auf Ithaka-Weise, wie wir es bis jetzt gemacht, organisiert haben - herausgeben kann. Ich werde diese Manuskripte natürlich vorbereiten und werde darauf schreiben: "Das kann man herausgeben".

Aus den alten Büchern etwas Neues herauszugeben, empfehle ich nicht, darauf muss man warten, bis zu Hause Ordnung wird, und dann zu Hause ein Verlag eine Ausgabe in ein oder zwei Bänden auf so genanntem Bibelpapier herausgibt. So viel also über die Bücher. Was das Weitere betrifft, das ist erstens nicht viel, zweitens regelt es sich von selbst, ich habe darüber bereits ein Testament gemacht.

Zu Hause sind eigentlich noch zwei Werte: der eine ist die Eigentumswohnung in der Zárda-Straße und die zwei Anteile des Hauses in der Mikó-Straße, die habe ich gekauft, die gehören mir, die stammen aus meiner Arbeit. Die sind jetzt nichts wert, es kann aber so kommen, dass sie wertvoll werden, dann sollt Ihr, Mami oder Du, über sie verfügen.

Also, dear listener, das wollte ich nun sagen, Janika, ich danke Dir, dass Du so bist, wie Du bist, bleibe ein ehrlicher Mensch, pass auf Mami auf, schick manchmal deiner Großmutter Geld, sie ist eine alte Frau, sie verdient es. Und weiters, also, das andere wisst ihr schon.

Mit einem Wort, hallo, das wollte ich noch sagen, dass heute der 21. Februar 1967 ist.

Meine Mamika, dir lasse ich nichts sagen, Du weißt sowieso alles Weitere.

Buch-Tipps
Sandor Marai, "Die Glut", Piper Verlag, ISBN 3492233139

Sandor Marai, "Schule der Armen. Ein Leitfaden für Menschen mit geringem Einkommen", Piper Verlag, ISBN 3492241670

Sandor Marai, "Die Nacht vor der Scheidung", Piper Verlag, ISBN 3492245447