Die ach so große Freiheit

Wie es leuchtet

Rechtzeitig zum 15-jährigen Jubiläum des Mauerfalls legt Thomas Brussig einen ausgefallenen Wenderoman vor. Darin verfolgt er mehrere Hauptpersonen an verschiedenen Schauplätzen und beschreibt, wie sie die Wirren der Wende durchleben.

Eine Zeit des Jubels und des Protestes für Thomas Brussig

Thomas Brussig ist fast 40 Jahre alt und hat mehr als die Hälfte seines Lebens in der DDR verbracht. Seine zu köstlichen Komödien geformten Erinnerungen an sein Dasein im Arbeiter- und Bauernstaat machten ihn zum populärsten Chronisten dieser Zeit und zum umjubelten Helden der so genannten Ostalgie. Seine beiden Romane "Helden wie wir" und "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" wurden Bestseller, in über 20 Sprachen übersetzt und zudem höchst erfolgreich verfilmt.

Es begann im Sommer 89

Ausgangspunkt seines neuen Romans "Wie es leuchtet" ist der Sommer 1989, als viele DDR-Bürger bereits über Ungarn und Österreich in die BRD flüchteten.

Es war wie ein Spiel. Sie fanden eine Stelle, die geeignet erschien. Sie stiegen aus und liefen auf die andere Seite. Es gab viele Mücken. Es gab keine Grenzer, keine Wachtürme, keinen Zaun. Nur einen Grenzpfosten. Es war beleidigend einfach. Carola musste lachen, laut lachen, während sie lief.

Das scheinbar lockere Leben im Westen

Später verging Carola das Lachen. Gemeinsam mit dem Berliner Thilo, den sie in Ungarn kennen lernte, war sie Hals über Kopf geflohen. Sie wollte zu ihm in eine Kreuzberger WG ziehen und Psychologie studieren. Alles schien so einfach. An der Universität musste man sich nicht bewerben und wochenlang auf eine Zulassung hoffen. Das Abitur-Zeugnis würde reichen. Doch an genau das hatte sie bei ihrer Spontan-Flucht nicht gedacht.

Enttäuschend wie den sturen Uni-Bürokratismus findet Carola bald auch das nur scheinbar lockere Leben in der Wohngemeinschaft. Beschriftete Kühlschrank-Fächer, feste Badezimmerzeiten und die "gerechte" Aufteilung der Putzmittelkosten zerstörten eine weitere Illusion vom "freien" Westen. Auf der anderen Seite der Mauer wusste man davon noch nichts.

Der Fotograf, der im Augenblick des Abdrückens stets die Augen schließt; der junge Albino, der mit einer Visitenkarte von VW die ostdeutsche Volkswirtschaft sondiert und überall hofiert wird; die "Trickbeatles", Elektronik-Musiker, die am ersten Tag im Westen gleich einmal die Plattenläden durchforsten; ein Bürgerrechtler, dem sein Lebensinhalt abhanden kommt, ein Starreporter, der just während des "Jahrhundert-Ereignisses" in eine Schreibkrise fällt und so weiter.

A la Robert Altman

Im Short-Cut-Stil eines Robert Altmann wechselt und verknüpft Thomas Brussig Situationen und Personen in scheinbar beliebiger Form bis sich allmählich rund zehn Hauptfiguren und eine alles überstrahlende Heldin herauskristallisieren: Lena, die "Jeanne d'Arc von Karl-Marx-Stadt".

Der Höhepunkt der knapp 600 Seiten umfassenden und überaus unterhaltsamen fiktiven Reportage ist naturgemäß jene Novembernacht, in der die Massen die Checkpoints stürmten.

Die Mauer ist auf! Jubel an den Grenzübergängen, Trabis auf dem Ku'damm, Glücksgesänge am Brandenburger Tor. Lenas großer Bruder fotografierte die andächtig lauschende Schar. Ein leuchtendes Staunen floss aus den Augen.

Komisch, grotesk und dramatisch

Hoffnungen, Ängste, Ernüchterungen. Komische, groteske, dramatische Momente aus dem deutsch-deutschen Wendejahr vom Sommer 89 bis zum Sommer 90. Thomas Brussig bringt das ganze Chaos dieser denkwürdigen, aber auch schon wieder verdrängten Zeit erneut zum Leuchten. Mit "Wie es leuchtet" hat Brussig den Sprung vom reinen Satiriker zum kompetenten Chronisten geschafft, der es dennoch versteht, sein Publikum bestens zu unterhalten und Sentimentalität gänzlich weg zu lassen.

Wenn man etwas nimmt, das an vielen Stellen flimmert und flackert, und man schaut sich das Ganze an, dann sieht man, wie es leuchtet!

Buch-Tipps
Thomas Brussig, "Wie es leuchtet", S. Fischer Verlag, ISBN: 3100095804