Von Wien nach Ungarn und zurück
Schnittke, Schwitters, Serious Pop
Musik von Alfred Schnittke dominiert in diesen Tagen das Wiener Konzertgeschehen. Im Rahmen von "Wien Modern" gibt Gidon Kremer gleich drei Konzerte, zwei sind schon vorbei; jenes mit dem RSO-Wien und mit Werken von Alfred Schnittke steht noch bevor.
8. April 2017, 21:58
Ausschnitt aus Alfred Schnittkes Concerto grosso Nr. 1
Musik für präpariertes Klavier, das war zuletzt häufig um diese Zeit zu hören, schließlich gibt es gerade einen John-Cage-Schwerpunkt bei "Wien Modern". Aber das präparierte Klavier zu Beginn des Concerto grosso Nr. 1 von Alfred Schnittke führt ganz woanders hin ...
"Wien Modern" im Zeichen von Alfred Schnittke
Alfred Schnittke dominiert in diesen Tagen das Wiener Konzertgeschehen. Vor genau 70 Jahren wurde er geboren, und im Rahmen von "Wien Modern" gibt Gidon Kremer drei Konzerte mit Musik von Schnittke. Zwei sind schon vorbei, aber eine Chance gibt es noch: Am Freitag, dem 26. November, spielt Gidon Kremer mit dem RSO-Wien im Wiener Konzerthaus, und auf dem Programm steht, wohin dieses "Concerto grosso" kompositorisch noch hingeführt hat - nämlich: die Concerti Nummer 2, 4 und 5, zwei davon mit Gidon Kremer als Violinsolisten. In der Donnerstag-Ausgabe von "Zeit-Ton" wird sich Lothar Knessl ausführlich mit den Alfred Schnittke-Mitschnitten aus dem Musikverein befassen.
Als das erste dieser Konzerte 1977, unmittelbar nach seiner Fertigstellung, zuerst in der Sowjetunion und dann in Östereich und Deutschland auf längeren Tourneen vorgestellt wurde, war es wohl der Autorität des Interpreten Gidon Kremer zuzuschreiben, dass es statt handfester Skandale nur ästhetischen Aufruhr und künstlerischen Aufschrei gab. In der Sowjetunion verstieß das Stück mit seinen vielen Referenzen auf Barockes, auf Tango, auf Kinderchoräle sowieso gegen jede Doktrin realsozialistischer Fortschrittsmusik. Aber auch im Westen wurden - um es mit einer Metapher von Rainer Lepuschitz aus dem Wien-Modern-Katalog zu beschreiben - die Hörer "auf dem falschen Fuß erwischt.
Da fehlten ein paar Rezeptionskategorien, um mit diesen Verweisspielen, dem Referenzenwerk umzugehen. Man konnte vielleicht an den existentialistischen Pluralismus von Bernd Alois Zimmermann denken, aber das traf es doch auch nicht, und Kategorien, die mehr mit ernstgenommener Postmoderne zu tun gehabt hätten, hatte die Musikwelt noch nicht für sich entdeckt.
Kurt Schwitters revisited
Eine sehr freie Reinterpretation von Kurt Schwitters Ursonate ist kürzlich vom ungarischen Experimentalgitarristen Zsolt Söres mit der Formation "Spiritus Noister" bei Hungaroton Classic erschienen. Das Material der Ursonate, also die notierten Laute, wurden neu interpretiert, und aus einem solistischen, musikalisierten Sprechakt ist fast ein Gesangsduett entstanden. Die Ursonate wurde dabei insgesamt in einen größeren musikalischen Zusammenhang eingebettet.
Zsolt Söres, der auch mit dem "Abstract Monarchy Trio" arbeitet, von dem in Kürze ebenfalls eine CD erscheinen soll, ist nicht nur ein vielseitiger und in vielen verschiedenen Zusammenhängen tätiger Musiker, er ist auch ein wichtiger Multiplikator hinsichtlich musikjournalistischer und veranstalterischer Funktionen. Unter anderem betreibt er gemeinsam mit Pal Toth aka En seit vielen Jahren die unkonventionellste Musiksendung seines Landes: "No Wave" auf Tilos Radio, oszillierend zwischen Musikmagazin und Radiokunst.
Verantwortlich für "No Wave" ist vor allem Pal Toth, dem das Radiomischpult gleichsam Musikinstrument ist: Anstatt einfach CDs abzuspielen, mischt er die verschiedenen Klangquellen kunstvoll ineinander und lässt so neue Klanguniversen entstehen. Von ihm erscheint ebenfalls in Kürze bei Ultrahang Records seine neue CD "Seven Days": Sieben Musikstücke für sieben Tage als experimentelle wie lebensnahe Konzeptkunst.
Serious Pop
"In den letzten Jahrzehnten konnten im südosteuropäischen Raum in Rock und Pop wie auch in anderen Kunstsparten singuläre Szenen entstehen. Relative Tauwetterperioden ermöglichten eine nicht-kapitalistische Systemkritik und einen relativ guten Informationsweg zur internationalen Avantgarde- und Rockentwicklung."
So heißt es in der Selbstbeschreibung. "Serious Pop" hieß ein dreitägiges Symposium, das soeben zu Ende ging und das Verhältnis zwischen dem Politischen, dem Ideologischen, dem Gesellschaftlichen und dem Popmusikalischen in den ehemaligen Ostblock- und anschließend unabhängigen Ländern östlich und südlich von Österreich untersuchte. Dabei stand auch das ehemalige Jugoslawien mehrmals im Mittelpunkt des Interesses - von surrealen Belgrader Szenen bis zum provokanten Kunstkollektiv Neue Slowenische Kunst und ihrer Musikabteilung Laibach aus Ljubljana.
Während das Symposium vorüber ist, geht das Konzert- und Party-Treiben unter der Obhut von "Serious Pop" noch bis Samstag weiter. Beispielsweise am Donnerstag, dem 25. November, im WUK, wo die Ghetto Booties - eine Art Girl Riot Rock Band aus Zagreb - auftreten. Am Freitag, dem 26. November, ist im FLUC u. a. auch das wunderbar verrückte Künstlerpaar Laura Kikauka und Gordon Monahan zu hören.
Nachschlag: "ntrix" von "Tricorder"
"Tricorder" nenen sich drei Musiker als Gruppe, und dahinter stecken wohl bekannte Namen: Ernesto Molinari, Klarinette, Ulli Fussenegger, bekannt als Kontrabassist im Klangforum Wien, aber in diesem Fall am Computer tätig, sowie Berhard Lang, bekannt als Komponist, und hier ebenfalls am Computer. Soeben ist die Platte "ntrix von "Tricorder" beim Label Durian erschienen; und das ist Musik für feine Ohren, wie sich aus wenigen Klarinettentönen mit Hilfe der Live-Elektronik über Minuten hinweg ein schwebendes, in sich changierendes Klangband entwickelt, so etwa in "For M., einem von insgesamt vier längeren Stücken auf dieser Platte.
CD-Tipps
Schwitters Ursonate, Spiritus Noister, Hungaroton Classic, CD 32259
ntrix, Tricorder, Label Durian, CD 023-2
Veranstaltungs-Tipps
Wiener Konzerthaus - Programm
WUK - Programm
FLUC - Programm
Serious iPop - Highlights
Links
Wien Modern
Alfred Schnittke
Concerti grossi - Werkbeschreibung und Klangbeispiele
Gidon Kremer
Zsolt Söres
