Drei Generationen erzählen

Houwelandt

In der Regel werden Familiengeschichten aus der Perspektive einer der Personen erzählt, nicht so in John von Düffels neuem Roman. Düffel lässt seine Familiensaga von Großvater, Vater und Enkel erzählen. "Da hat jede Figur eine Version der Wahrheit", meint er.

Die Familie Houwelandt besteht aus drei Generationen - Großvater, Sohn und Enkel - die nichts miteinander zu tun haben. Der Großvater Jorge verbringt seinen Lebensabend in Spanien, er führt ein Leben in Askese, das einzig Wichtige ist das tägliche Schwimmen im Meer und seine Gebete.

Sein Sohn Thomas verwaltet den Familienbesitz in Norddeutschland, oder besser gesagt: Er soll ihn verwalten, denn wie in all seinen bisherigen Tätigkeiten fehlt ihm auch hier der nötige Biss.

Und dann ist da noch Christian, der Enkel, ein erfolgreicher Radiomoderator, der am Höhepunkt seiner Laufbahn plötzlich die Sehnsucht verspürt, eine Familie zu gründen und dabei am Karrierebewusstsein seiner Frau scheitert.

Nur keine Rede!

Die Houwelandts fühlen sich in keiner Weise dem jeweils anderen nahe, doch die Großmutter will, dass sie wenigstens einmal wie eine ganz normale Familie zusammenkommen. Eine Feier zu Großvater Jorges 80. Geburtstag bietet den Anlass. Sohn Thomas soll eine Rede halten und versucht diese undankbare Aufgabe an den Enkel Christian weiterzugeben. Der hat dazu nicht die geringste Lust und fühlt sich auch nicht berufen über einen Mann zu sprechen, den er kaum kennt.

Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass das Verhältnis zwischen seinem Großvater und ihm auch hätte anders sein können, herzlicher, inniger, unbefangener. Obwohl er gewusst habe, dass seine Schulkameraden ihre Großeltern häufiger sahen, teilweise mit ihnen lebten oder die Ferien bei ihnen verbrachten, wäre es ihm im Traum nicht eingefallen, seinen Großvater zu vermissen. Gott vermisste man nicht. Und man spielte auch nicht mit ihm Verstecken.

Die Unvereinbarkeit der Menschen

John von Düffel macht es sich nicht einfach, die Familiengeschichte der Houwelandts zu erzählen. Er schreibt aus den verschiedenen Perspektiven; alle kommen zu Wort und jeder hat seine Version der Wahrheit. Beim Leser erzeugt dies eine seltsame Irritation, immer wieder ergreift man Partei für eine der Figuren, doch schon im nächsten Kapitel stellt sich alles anders dar.

Ein Schachspiel ist eine ruhige Angelegenheit, und gleichzeitig kann es ungeheuer spannend sein. So ist auch Düffels Roman. Meist sind es eben nicht die großen Katastrophen, die die Konstruktion "Familie" zum Scheitern bringen.

"Ich glaube, viele Familiengeschichten scheitern einfach an der Verschiedenheit und Unvereinbarkeit von Menschen", meint John von Düffel.

Aus der Sprachlosigkeit

Zum Glück ist John von Düffel nicht der Typ für einen depressiven Schluss, und so führt er die Familie Houwelandt souverän aus ihrer Sprachlosigkeit. Großvater Jorge bringt es doch fertig, seinem Geburtstagsfest fern zu bleiben. Die Rede wird dennoch gehalten, Sohn und Enkel verstehen plötzlich viel besser, warum sie in bestimmten Situationen so reagieren und nicht anders.

John von Düffel ist davon überzeugt, dass Familie etwas ist, dem wir nie entkommen können, auch wenn wir davon überzeugt sind, unser Leben als eigenständige Individuen zu gestalten. "Was trotzdem erstaunlich ist, dass es so etwas gibt wie eine Art Matrix, die in der Familie immer noch funktioniert, selbst wenn sie nicht stattfindet", findet Düffel.

Schachspiel der anderen Art

Man merkt es dem Buch an: Hier hat einer geschrieben, der viel nachdenkt, über seine Herkunft, seine Wurzeln, ganz einfach darüber, warum er so und nicht anders geworden ist. Und auch wenn die Familie Houwelandt und ihre Geschichte erfunden ist, regt sie den Leser an, über all das nachzudenken. Und so ist John von Düffels Roman nur auf den ersten Blick ein unterhaltsamer Familienroman, auch der Leser wird dazu angehalten, gegen sich selbst Schach zu spielen.

Buch-Tipp
John von Düffel, "Houwelandt", DuMont Verlag, ISBN: 3832178821