Der Erfinder des präparierten Klaviers
Eine widersprüchliche Rezeptionsgeschichte
Das "Wien Modern"-Festival rückt heuer das Schaffen von John Cage in den Mittelpunkt. Am Donnerstag spielt Pianistin Margaret Leng Tan ein Konzert für Klavier, präpariertes Klavier und Toy Pianos. Zu entdecken ist, wie der Bürgerschreck zum Klangästheten wurde.
8. April 2017, 21:58
Möglicherweise ist über keinen Komponisten dieses Jahrhunderts so viel geschrieben worden wie über John Cage. Und wahrscheinlich ist bei keinem Komponisten die Rezeptionsgeschichte so widersprüchlich. Letzteres läst sich selbst an den wenigen Tagen bei "Wien Modern", die es bis jetzt zu John Cage gab, ablesen:
Der Unterschied zwischen Konzerten nach traditionellstem Muster des Zuhörens im möglichst konzentrierten und ungestörten Konzertraum einerseits - und Cage mochte solche Konzerte zumindest in den späteren Jahren selbst, auch wenn er früher am liebsten alle Fenster geöffnet hätte. Und andererseits die heute als filmische Vorführung erfahrbaren geräuschhaften, technoiden, offenen Konzeptionen, die jedem Konzertritual Hohn sprachen und von John Cage und David Tudor mit stoischer Gelassenheit durchexerziert wurden. Dieser Unterschied ist riesig.
Cages präpariertes Klavier seit 1940
Erfunden hat Cage das präparierte Klavier 1940. Und das zählt mittlerweile ohnedies zum Allgemeinwissen - nicht aus künstlerischem Wagemut oder Klangerweiterungsdrang, sondern weil auf einer winzigen Bühne kein Patz für jene Perkussionsinstrumente war, die Cage gerne zur Tanzperformance von Syvilla Fort eingesetzt hätte.
Also ersann er die abgedämpften und verschatteten Klavierklänge, um das Symbol des europäischen Bürgertum-Musizierens, eben das Klavier, ein wenig nach Afrika klingen zu lassen. Über die Konsequenzen, den Einfluss und die Folgewirkung dieser Entscheidung war sich John Cage damals mit Sicherheit nicht im Klaren. Dennoch geriet ausgerechnet das präparierte Klavier zu einer Art Symbol für den aufwieglerisch anders denkenden Komponisten.
Das Inszenieren des Zuhörens
Wie wichtig für Cages Philosophie und Ästhetik die Wahrnehmung, das Inszenieren von Zuhören im Gegensatz zum com-ponere, dem klassischen Zusammensetzen von Tongebäuden, wird oft erläutert und noch öfter an seinem Pausenstück exemplifiziert. Auch in einer Lecture, gehalten im Wiener Konzerthaus 1982, finden sich diesbezügliche Andeutungen. Und: "My composing is actually unnecessary - Music never stops - It is we who turn away", doziert Cage, um fort zu fahren: "Again the world around - Silence - Sounds are the bubbles on its surface. They burst to disappear."
Auf Deutsch bedeutet es etwa: "Genau genommen ist mein Komponieren absolut unnötig, Musik spielt immerfort - nur wir wenden uns ab. Endlich wieder die Welt rund um uns - die Stille. Klänge sind die Schaumblasen auf ihrer Oberfläche - sie erscheinen, um zu vergehen".
Multimedia-Spektakel "HPSCHD" & "Song Books"
1969 veröffentlichte John Cage das amorph-vielschichtige Multimedia-Spektakel "HPSCHD", eigentlich auszusprechen wie das englische Wort für Cembalo, Harpsichord, und im Jahr darauf folgten die mit einem hinterlistig harmlos klingenden Titel ausgestatteten "Song Books":
Allesamt synchron zu überlagernde, ohne fixen Zeitrahmen ausgestattete, teils chaotisch wirkende Klangerkundungen, die Cages Credo folgten, dass das Reaktionäre daran zu erkennen sei, dass es nur ein Zentrum gäbe. Und sei es ein musikalisches Zentrum. Cages Musik dieser Jahre war, auch wenn sie heute selten so rezipiert wird, weil sich andere Aspekte in den Vordergrund geschoben haben, politische Musik in einem verhältnismäßig direkten Sinn.
Sanfter Anarchismus
Cage liebäugelte kurzfristig mit Mao, um dann auf eine Art sanften Anarchismus umzuschwenken, mit dem er sich wiederum einfand in der sehr amerikanischen, das heißt in diesem Fall eigentlich anti-europäischen Tradition seit David Henry Thoreau. Form aufzuheben, die Absichtslosigkeit immer weniger ästhetisch-philosophisch und immer mehr gesellschaftspolitisch hochzuhalten, das Ausufernde zu lieben, wurden zu bestimmenden Faktoren.
Entscheidend ist aber, dass es Cage natürlich nie um das Ausufernde an sich ging, sondern um die politischen Implikationen des Verlusts von Zentrum und Eindeutigkeit. Darin steckte die politische Ansage und die Utopie.
Cages Spätwerk
"Five2", Fünf hoch zwei, komponiert 1991, "58", komponiert 1992 für das "musikprotokoll", zählen den Werken aus John Cages Spätwerk, ruhige, unaufgeregt schwebende, ganz und gar nicht revolutionär klingende Musik von John Cage.
"Ich denke jetzt, daß ich nach all' den Jahren endlich schöne Musik schreibe" vermerkte er selbst dazu. Von "illegaler Harmonie", wiederum durch Zufall generiert, war in diesen Jahren selbstbewusst die Rede.