Junge Muslime in Europa

Kopftuch, Koran und Clubbings

Mit den Gastarbeitern kam Ende der 60er Jahre auch der Islam nach Mitteleuropa. Die Kinder der Gastarbeiter von damals müssen sich heute positionieren: zwischen der Moderne, ihrer Kultur und ihrer Religion, aber auch gegenüber dem islamistischen Fundamentalismus.

Bülent Öztoplu vom Verein ECHO über türkische Jugendliche

Erst im Laufe des letzten Jahrzehnts hat man davon Notiz genommen, dass es europäische Bürgerinnen und Bürger gibt, die Muslime sind. Inzwischen hat sich der Status des Islam gewandelt. Der islamische Fundamentalismus hat die Religion wieder auf die Bühne der Politik zurückgebracht.

Die zweite Generation der Gastarbeiter muss sich heute positionieren: zwischen der Moderne, ihrer Kultur und ihrer Religion, aber auch gegenüber dem islamischen Fundamentalismus und den Ansprüchen der europäischen Demokratie-Tradition.

Kopftuchtragen In Österreich kein Hindernis

Seit ungefähr dreißig Jahren nimmt die Zahl der Muslime in Österreich zu. Laut der bisher letzten Volkszählung bekennen sich 338.998 Menschen in Österreich zum Islam, das sind 4,2 Prozent. Ein gutes Drittel davon lebt in Wien. Dabei geben die Türken meistens den Ton an.

Während in der Türkei Frauen in öffentlichen Institutionen, also in Schulen, Universitäten oder im Parlament, kein Kopftuch tragen dürfen, legt die säkulare Verfassung Österreichs dem Kopftuchtragen keine Hindernisse in den Weg. Diese Bekleidung provoziert freilich bei den ohnedies notorisch fremdenfeindlichen Österreichern alle möglichen Klischees. Das Ergebnis: eine Ghettoisierung der Jugendlichen, meint Bülent Öztoplu, der Obman des Vereins ECHO, der sich um türkische Jugendliche annimmt. Sein Anliegen: eine multikulturelle Freizeitkultur für türkische Jugendliche:

"Viele Jugendliche der zweiten und dritten Generation fühlen sich zerrissen. In Österreich fühlen sie sich als Ausländer, aber in der Heimat ihrer Eltern sind sie nicht mehr daheim. In der Türkei heißen sie Deutschländer - das ist dort der Name für einen eigenen Stil geworden."

Jugendliche Positionierungen

Für Erdöm, einen 16-jährigen Berufsschüler aus Wien, steht die kulturelle Bildung im Vordergrund. Sein Bezugssystem sei der Islam, betont er. Dass er jetzt im Fastenmonat Ramadan faste, sei für ihn ganz selbstverständlich. Erdöms Freund Lokman hingegen ist ein begeisterter Disco-Geher. Aber seine Frau müsse auf jeden Fall einmal Muslimin sein und ein Kopftuch tragen, sagt er.

Farideh Cicak, eine typische Muslimin der zweiten Generation, ist der Meinung, die fehlende Sprache mache allen das Leben schwer: Bildung sei ein zentrales Moment kultureller Integration. Die gelernte Buchhalterin wohnt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern im 12. Wiener Gemeindebezirk. Sie trage außer Haus Kopftuch und Mantel, daheim natürlich nicht. Dass Frauen im Islam unselbstständig und unterdrückt seien, finde sie nicht. Vor kurzem habe sie mit einem Studium am Islamischen Institut in Wien begonnen, eine Fortbildungseinrichtung für islamische Frauen. Ihr Mann, von Beruf Taxifahrer, habe nichts dagegen gehabt:

"Das Selbstbild der islamischen Frauen in Europa muss sich ändern. Die Frauen sollten nicht nur allgemein Haushaltsführung lernen, sondern auch, wie man sich in der Gesellschaft bewegt."

Stereotype Vorstellungen

Die Soziologin Fauzia Ahmad von der Universität Bristol in England stellt fest:

"Die stereotypen Vorstellungen vom Islam in Europa werden meistens von islamistischen Fundamentalisten bestimmt, denen westliche Medien große Aufmerksamkeit widmen. Die reale Situation ist ganz anders: es gibt verschiedene Kulturen, verschiedene Lebensumstände, und die Grenzen zwischen Kultur und Religion müssen immer neu verhandelt werden. Das gilt z. B. auch für das Kopftuch: Die unterschiedlichen Frauen haben die unterschiedlichsten Gründe, ein Kopftuch zu tragen: Für manche hat es religiöse, für manche politische, für manche kulturelle Gründe. Das Kopftuchtragen allein auf ein religiöses Bekenntnis zu reduzieren, ist falsch."

Neue muslimische Eliten fördern

Es sei die Aufgabe der europäischen Gesellschaften, darauf hinzuwirken, dass junge Moslems umfassend am bürgerlichen Leben der Demokratie teilnehmen können, betont der renommierte Islam-Wissenschaftler Gilles Kepel:

"Der soziale Aufstieg und die Entstehung neuer Eliten aus den muslimischen Bevölkerungsschichten ist zu fördern. Den neuen muslimischen Eliten werde es zukommen, auf beispielhafte Weise und über Europas Grenzen hinweg das neue Gesicht einer muslimischen Welt zu verkörpern, die mit den modernen Zeiten ausgesöhnt ist".

Download-Tipp
Ö1 Clubmitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich runterladen.

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