Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Gewitzter Erzähler Peter Esterházy

Mit viel Humor, sprachlichem Witz und scharfem Intellekt geht der ungarische Schriftsteller Peter Esterházy den Wahrheiten hinter der Wirklichkeit auf den Grund. Dafür wird ihm heute in der Frankfurter Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels überreicht.

Als gewitzter intellektueller Erzähler, der sich der "sanften Subversion gegen alle Ordnungen" verschrieben hat, ist Peter Esterházy in Ungarn bekannt geworden. Seine Texte verbinden persönliche Erlebnisse mit allgemeinen Beobachtungen und sind daher immer doppelt zu lesen.

Esterházy wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur 1999 und jetzt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Herr Esterházy, ungarische Literatur ist hier zu Lande nicht so bekannt, wie es bei der engen Nachbarschaft zu erwarten wäre.
Grundsätzlich kann man sagen, dass die ungarische Literatur nicht sehr bekannt ist, aber das ist nicht so schlimm. Das Zustandekommen ist wichtig.

Sie meinen, die Verbreitung der Literatur ist nur die praktische Seite?
Ja, obwohl gerade im deutschen Sprachraum mit der Zeit doch einige ungarische Bücher bekannt wurden, von Kertesz oder Nadas z.B. oder auch von mir. Das war vor 20 Jahren noch nicht so. Wenn jetzt ein Buch auf Deutsch erscheint, dann steht es nicht mehr so nackt und allein wie früher. Ein Buch hat es sehr schwer, wenn es allein steht, wenn es keine Umgebung gibt.

Glauben Sie, dass man Literatur nur in einem Kontext lesen und verstehen kann?
Wir können etwas nur im Kontext lesen. Alles ist Kontext. Wenn es nicht diesen Reichtum hat, dann hat es ein Buch schwer, dann haben die Sätze ein schwierigeres Leben. Das kann dazu führen, dass einige unserer Sätze stumm bleiben oder missverstanden werden. Es ist schön, missverstanden zu werden, das ist auch legitim. Sozusagen daneben zu lesen. Das ist auch eine Art von Lesen.

Wenn Sie jetzt zurückblicken auf die Vergangenheit, auf die Zeit vor 89, das Leben in der Diktatur: Staat und Sprache waren auf Kriegsfuß miteinander.
Es war immer eine ständige Spannung, das tut der Literatur gut. Es ist schön, hinter dem Schweigen, das einem die Diktatur aufzwingt, etwas zu sagen. Mit der Zeit wurde diese Situation eine moralisch eindeutige: hier die böse Macht, dort der gute, brave Schriftsteller. Mit der Zeit wurden die Sprache und das System einander immer ähnlicher. Und die Zweideutigkeiten, die nur politisch waren, die waren dann einfach fad. Jeder wusste die Zweideutigkeit schon zu deuten, das ist dann eine Pseudo-Zweideutigkeit.

Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre entstand die so genannte "junge ungarische Literatur", die gerade damit Schluss machen wollte, nämlich: Mitteilung zwischen den Zeilen. Sie haben das "komplizenhafte Literatur" genannt.
Das war die Folge, dass man in einer Diktatur gelebt hat. Es war aber nicht so leicht, denn die Bücher haben nicht ganz mitgemacht. Das war sehr lustig zu sehen. Es war in Ordnung, dass der Leser weiterhin etwas gesucht hat zwischen den Zeilen und es auch gefunden hat. Die Bücher selbst haben eine andere Vorstellung von Literatur gehabt als wir selbst.

Urs Widmer hat in der "Zeit" über Sie geschrieben: Er kommt schreibend nur in Fahrt, wenn er sich an anderen Texten reiben kann. Sie zitieren oft andere Schriftsteller. Ist es noch immer sehr wichtig für Sie, mit fremden Texten, mit Zitaten zu spielen?
Theoretisch ist es für mich nicht wichtig, ich habe alle möglichen Arten von Zitieren ausprobiert, ich brauche das für die Fremdkörper in meinen Texten, dadurch entsteht eine Unsicherheit, ein Zittern, das ich mag. Man kann daraus aber nicht schließen, welche Literatur ich mag. Wenn ich etwas finde, das ich brauche, das nehme ich.

Sie haben auch manchmal Peter Esterházy zitiert.
Ja, meine Sätze sind auch Sätze, die ich manchmal noch einmal verwenden kann. Da funktioniert das anders. Wenn ein Satz schon gedruckt ist, dann bekommt er eine andere Art von Existenz, einen anderen Status. Manchmal ist dieser Status so kühl, dass man ihn nicht mehr anfassen kann, aber manchmal bedeutet das, dass man eine neue Möglichkeit hat, ihn anzuschauen und ihn irgendwo wieder in einen Text reinwerfen kann.

Übrigens: Diese ganzen 90er Jahren waren auch ein Lernprozess, was macht jetzt die Sprache, wenn dieses diktatorische Schweigen nicht brüllt? Wie bewegen sich die Wörter? Ein Schriftsteller, der sich nicht anlügt, der müsste sagen, dass er die Sprache neu lernen muss. Viele haben damit sehr große Probleme, weil auch die Situation der Schriftsteller eine andere geworden ist. Er ist unbedeutender geworden.

Ist jetzt nicht auch die "Konkurrenz" größer geworden, durch Fernsehen, Magazine etc.?
Ich würde das nicht Konkurrenz nennen. Viele Leser sind einfach weg. Die Zwischen-den-Zeilen-Leser, die lesen jetzt Zeitungen. Literatur hat nicht mehr diese politische Wichtigkeit. Bei uns war Literatur immer groß, aber es ist in Ordnung, wenn Literatur klein ist. Für mich ist Literatur natürlich Leben. Ich sitze an einem Tisch und schreibe Sätze, das ist mein Leben. Ich muss glauben, dass Literatur wichtig ist, aber nicht auf diese lächerliche Weise wie in einer Diktatur.

Wie wichtig ist die Vergangenheit überhaupt für uns?
Da ist schon ein Unterschied zwischen Ost und West. Unsere Erfahrungen haben oft zu tun mit der Vergangenheit, zu unserer Geschichte haben wir eine lebendigere Beziehung. Es kann sehr gefährlich sein, wenn man nur vom Jetzt weiß, das ist auch eine Art von Armut.

Ist es nicht auch die Aufgabe von Schriftstellern, die Fragen nach der Vergangenheit zu stellen?
Die Aufgaben von Schriftstellern, wenn ich das schon höre, da bekomme ich schon kleine Pickel! Nein, die haben keine Aufgabe. Ja, sie haben die Aufgabe, Fragen zu stellen, aber vielleicht nicht in dieser Direktheit, das ist etwas anderes.

Stellen Sie Fragen?
Nur Fragen, ich habe nur Fragen. Antworten habe ich nicht. Ich kenne keine Literatur, die Antworten hat.

Service

Peter Esterházy, "Harmonia Caelestis", übersetzt von Terezia Mora, Berlin Verlag, ISBN: 3442761611

Peter Esterházy, "Verbesserte Ausgabe", übersetzt von Hans Skirecki, Berlin Verlag, ISBN: 3827004977

Peter Esterházy, "Das Buch Hrabals", übersetzt von Zsuzsanna Gahse, Berlin Verlag, ISBN: 3833300329