Was macht der Mensch mit der Technik?
Verliebt in den Computer
Yahoo! und die Medien-Agentur OMD haben kürzlich eine Studie über das Internet durchgeführt. Dafür sollten Probanden zwei Wochen einen Internet-"Entzug" machen, um damit festzustellen, welche praktische und emotionale Bedeutung das Internet für die Menschen hat.
8. April 2017, 21:58
Das Internet als Rohrschach-Test
Das Ergebnis des "Internet-Entzuges" ist erwartungsgemäß ausgefallen: die Studienteilnehmer meinten, dass sie sich ohne Internet von der Welt abgeschnitten gefühlt hätten. Die meisten wussten das offenbar schon vorher und waren deshalb erst gar nicht bereit, den Internet-Entzug mitzuspielen.
Es war unglaublich schwierig, so berichten die Auftraggeber, Freiwillige für den Versuch zu finden. Vielleicht hätten es sich Yahoo! und OMD aber auch einfacher machen und Sherry Turkle vom Massachussetts Institute of Technology in Boston fragen können. Wenn es um die Beziehungen von Menschen zu Technik geht und um die Art und Weise, wie das Internet unser Selbstbild verändert, dann ist Sherry Turkle die Expertin.
Internet kein Suchtmittel
Sherry Turkle meint, dass das Konzept von Internet-Sucht eine viel wichtigere Frage verdecke, und die sei: was ist es, das die Menschen in ihrem Leben vermissen und nach dem sie im Internet suchen.
Sherry Turkle interessiert sich seit vielen Jahren dafür, wie Menschen mit der Technik umgehen und wie sich ihr Selbstbild durch Computer verändert. Als Psychologin will sie jedoch wissen, was der Mensch mit der Technik macht und nicht, was die Technik mit dem Menschen macht.
Angeblich als Scherz gemeint
Deshalb reagiert sie auch sehr unwirsch, wenn wieder einmal jemand das Internet als süchtig-machend verdammen will. 1995, als ihr Buch "Life on the Screen. Identity in the Age of the Internet" in den USA erschien, tauchte auch der Begriff "Internet-Sucht" das erste Mal auf.
Der Begriff wurde vom New Yorker Psychiater Ivan Goldberg geprägt und war angeblich als Scherz gemeint. Mittlerweile hat die Internet-Sucht sogar Eingang in Gesundheitsratgeber gefunden und an allen Ecken und Enden wird Hilfe dagegen angeboten.
Internet als Rohrschach-Test
Man sollte vom Internet nicht reden, als ob es ein Betäubungsmittel wäre, sagt Sherry Turkle. Für sie ist es eher eine Art Rohrschach-Test. Wie bei den Tintenklecksen, aus deren Beschreibung man etwas über den Beschreibenden erfahren kann, würde das Handeln eines Menschen im Internet etwas über sein Leben sagen. Es könnte helfen zu erkennen, was er vermisst und was er braucht. Einfach nur zu sagen: "Achtung! Macht süchtig!" würde die wirklich wichtigen Fragen verhindern.
Würde man einem Kind das Internet verbieten, das in Online-Beziehungen nach etwas suche, das ihm im Leben fehle, würde das wohl an seinen Bedürfnissen nichts ändern, so Sherry Turkle. Und wenn jemand zu schüchtern sei, um persönliche Kontakte zu knüpfen und er deshalb nur Online-Freundschaften pflege, dann würde ihn ein Internet-Entzug nicht weniger schüchtern machen.
Leben mit der Technik
Für die meisten Menschen, so meint die Computer-Soziologin, sei das Internet mittlerweile ohnehin ein ganz normales Kommunikations-Medium geworden. Nach der anfänglichen Begeisterung würden sie E-Mail, Chatrooms oder Mailing-Listen ganz unaufgeregt nutzen und manches vielleicht auch wieder aufgeben. Mit dem Internet hätten wir umzugehen gelernt. Jetzt gelte es, mit so genannten intelligenten Dingen leben zu lernen.
Verliebt in die Technik
Wenn ein "intelligentes" Auto sagt, "Ich merke, dass du angespannt bist beim Fahren und ich denke, dass du eine Pause machen solltest. Trink einen Kaffee und ich sage dir, wann du sicher weiterfahren kannst.", dann würde es für den Menschen gefährlich.
Das menschliche Bedürfnis nach Liebe und Obsorge würde damit angesprochen und es entstehe eine vermeintliche Beziehung zwischen Mensch und Technik. Wir würden glauben, das Auto liebe uns, und das sei nicht gut, so Sherry Turkle. Wir müssten lernen, mit diesen Mechanismen umzugehen, sie intellektuell zu erfassen und mit Humor und Ironie reagieren. Da Kinder das nicht können, sei es besonders wichtig, sehr vorsichtig bei der Entwicklung von Robotern für Kinder zu sein.
Alte und Roboter
Ein anderer Bereich, der quasi schon vor der Tür steht, sind Roboter für alte Menschen. Das reicht von Sensoren und Computern die kontrollieren, ob ein alter Mensch in seiner Wohnung hingefallen ist, bis zu Robotern als Krankenpfleger oder Gesprächspartner. Sherry Turkle empört sich darüber, dass diese Entwicklungen bei Konferenzen immer völlig kritiklos und mit großer Begeisterung präsentiert würden.
Download-Tipp
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Links
Sherry Turkle
Studie von Yahoo! und OMD
Die Studie in futurezone.ORF.at
Internet Addiction und Ivan Goldberg
Roboter und alte Menschen