Wunder und Ablehnung

Seligsprechung Kaiser Karl I.

Bereits 2003 verlieh Papst Johannes Paul II. dem letzten österreichischen Kaiser den Titel "Ehrwürdiger Diener Gottes". Doch seine Rolle im Ersten Weltkrieg gab Anlass zu Kritik innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche.

Ausschnitt aus Panorama-Diskussionsrunde

Am 3. Oktober 2004 wird Papst Johannes Paul II. auf dem Petersplatz in Rom den letzten Kaiser von Österreich und König von Ungarn, Karl I. (als ungarischer König Karl IV.), selig sprechen. Mit der Erhebung zur Ehre der Altäre findet der 1954 eingeleitete Seligsprechungsprozess seinen Abschluss. Die sterbliche Hülle des neuen seligen Österreichers ruht in der Kirche Nossa Senhora do Monte in Funchal. Der Bischof von Funchal, Teodoro de Faria, wird bei der Seligsprechungsmesse in Rom an den Papst die "Bitte" richten, Kaiser Karl selig zu sprechen. Für die Katholiken Madeiras habe Karl I. immer als "heiligmäßig" gegolten.

Moralische und religiöse Qualitäten

Die Entscheidung, den 1887 in Persenbeug geborenen und 1922 auf Madeira verstorbenen Kaiser Karl zur Ehre der Altäre zu erheben, kam überraschend und stößt auch innerhalb der katholischen Kirche auf Kritik. Voraussetzung für eine Seligsprechung ist in der römisch-katholischen Kirche der Nachweis, dass eine Person aufgrund ihrer moralischen und religiösen Qualitäten und ihres "heroischen Tugendgrades" als verehrungswürdig gilt. Bei Nicht-Märtyrern muss darüber hinaus auch ein Wunder nachgewiesen werden. Im Falle des Kaisers hat der Vatikan die Heilung einer brasilianischen Nonne von ihren Krampfadern als medizinisch nicht erklärbares Wunder anerkannt.

Diskussion in Österreich
Kurz nach Abschluss des Seligsprechungsprozesse kam es in den Medien zu teils heftigen Diskussion: Kaiser Karls Rolle im Ersten Weltkrieg, seine erfolglosen Versuche, nach seiner Abdankung 1918 die Monarchie in Ungarn wiedereinzuführen, aber auch die wundersame Heilung einer brasilianischen Nonnen standen dabei im Mittelpunkt. Die Bekanntgabe des Termins für die Feierlichkeiten in Rom fiel mitten in die Krise um die St. Pöltner Diozöse. Auch die Zusammensetzung der offiziellen österreichischen Delegation - Parlamentspräsidenten Andreas Khol (ÖVP) wird als ranghöchster Politiker teilnehmen - gab Anlass für Diskussion zwischen Regierung und Opposition.

Kurier

Bis zu 10.000 Pilger aus Österreich werden bei den Feiern zur Seligsprechung des letzten österreichischen Kaisers erwartet, berichtet der Kurier. Völlig unumstritten sei der "Ehrwürdige Diener Gottes" jedoch nicht. Doch Vorwürfe im Ersten Weltkrieg, wonach Kaiser Karl "ein Alkoholiker gewesen und intime Verhältnisse zu anderen Frauen unterhalten habe", wurden im Seligsprechungsverfahren entkräftet. Auch liege laut Vatikan keine Mitschuld am völkerrechtswidrigen Einsatz von Giftgas vor, so der Kurier.

Die Presse
Einen pragmatischen Ansatz wählt pizzicato in der Presse. Das Wunder, das der "glücklose letzte Habsburgerherrscher" gewirkt habe, könne zu einer Bereicherung des Abendgebets führen: "...ein auf Krampfadern spezialisierter Heiliger, den ich anrufen kann."

Profil
Das profil widmet die aktuelle Ausgabe der "Die Kaiser-Karl-Komödie" und beschreibt das Unbehagen über die Seligsprechung, dass nun die Innenpolitik erfasse. Wurde dem Haus Habsburg "aus ideologischer Verblendung tiefes Unrecht geschehen", wie Ministerin Rauch-Kallath in einer Rede bei Habsburgs goldener Hochzeit in Mariazell meinte? Ober betreibe die Familie Habsburgs "Geschichtsklitterung für die sich ein Parlamentspräsident nicht hergeben darf", wie SPÖ-Klubchef Josef Cap monierte. Mit dem letzten österreichischen Kaiser wird jedenfalls "eine höchst umstrittene Persönlichkeit selig gesprochen", so das profil.

Der Standard
Die sozialen Facetten des letzten Kaiser versus Giftgaseinsatz im Ersten Weltkrieg stehen im Zentrum der Diskussion, die Der Standard um einen Beitrag von Anton Pelinka ergänzt. Für den Politologen liegt der historische Fall klar: "Natürlich hat er die Kriegspolitik - einschließlich der neuen Vernichtungstechniken - mitgemacht. Er war kein besonderer Finsterling, aber auch keine positive Leitfigur." Doch die Seligsprechung ist für ihn am Rande des Lächerlichen angesiedelt: "Allein schon das Wunder: die Krampfadern einer brasilianischen Nonne. Wenn es wenigstens die Gesundung krebskranker Kinder in den Elendsquartieren Kalkuttas gewesen wäre."

Pelinka weiter: "Ich sehe das Ganze als einen eher atypischen Rückfall in eine Welt von gestern, in der Angehörige herrschender Häuser einen privilegierten Zugang zu den Päpsten hatten. Franz Jägerstätter, das wäre ein interessanter österreichischer Heiliger. Kaiser Karls Seligsprechung unterstreicht nur die Schwierigkeiten der Kirche, den Puls der Zeit richtig zu erfassen."

Diskutieren Sie mit!

  • Wie könnte das republikanische Österreich einen konfliktfreien Zugang zum "Erbe Habsburg" gestalten?
  • Lässt sich ein Einsetzen hochrangiger Politiker für die Beatifikation des letzten Kaisers mit der Trennung von Kirche und Staat vereinbaren?
  • Zu den Feiern haben sich Repräsentanten der neuen EU-Mitglieder angemeldet. Wie sieht die europäische Dimension der Seligsprechung aus?
  • Welche Rolle spielte die Katholische Kirche im Ersten Weltkrieg - Stichwort "Kanonen Segnen"?

Download-Tipps
Ö1 Clubmitglieder können die Sendung nach Ende der Live-Ausstrahlung im Download-Bereich runterladen.
Die Sendung "Praxis Spezial" vom Montag, dem 27. September beschäftigte sich ebenfalls ausführlich mit der Seligsprechung des Kaisers. Auch sie ist unter dem Titel Zur Ehre der Altäre downloadbar.

Links
Kurier - Kaiser Karl lockt Massen an
Die Presse - Der Venen-Patron
profil - Der andere Herr Karl
Der Standard - Ein Wunder macht den Kaiser selig