"Nachbar in Not" und "SOS Mitmensch"

1992

Im Jahr 1992 wird Bill Clinton Präsident der Vereinigten Staaten und die Slowakei trennt sich von Tschechien. Von größter politischer Bedeutung für Europa ist der Bürgerkrieg in Jugoslawien. Und die Welt sieht wieder einmal zu.

Teil 69: 1992

Senator Alfons Damato aus den USA bringt es auf den Punkt: "Was die Serben tun, ist ein internationales Verbrechen, aber was die Weltgemeinschaft nicht tut, ist auch ein internationales Verbrechen." Es ist April und das Großserbentum ruft zum dritten Mal zu den Waffen. Slowenien und Kroatien werden von der EG als unabhängige Staaten anerkannt, in der weiteren Folge auch Bosnien und Herzegowina.

UNO verhängt Waffenembargo

Im Unterschied zum Irak-Krieg des Vorjahres, wird nun der Aggressor Serbien nicht bestraft. Im Gegenteil: Er wird belohnt: Eine UNO-Resolution verhängt ein Waffen-Embargo über das gesamte Jugoslawien. Das bedeutet einen kriegsentscheidenden Nachteil für die Moslems, da die Serben über die Waffenarsenale der Bundesarmee verfügen. Die USA fühlen sich diesmal nicht zuständig. "Vorsicht und Klugheit bewahren uns vor einem Militärschlag", sagt George Bush 1992.

"Nachbar in Not" erzielt Rekordspendenhöhe

Die Diplomatie versagt, aber die Humanität ist zur Stelle. Besonders in Österreich. Zwei Millionen Spender bringen in sieben Monaten eine halbe Milliarde Schilling für die leidgeprüften Menschen im Kriegsgebiet auf. Es ist die erfolgreichste Sammelaktion in der Geschichte Österreich.

Ins Leben gerufen wurde die Aktion "Nachbar in Not" von Kurt Bergmann, dem ehemaligen Generalsekretär des ORF. Er ist von der "ungeheuerlichen Solidarität der Österreicherinnen und Österreicher gegenüber ihren Not leidenden Nachbarn im ehemaligen Jugoslawien" begeistert.

Der Bürgerkrieg eskaliert

Unterdessen wird der Bürgerkrieg immer brutaler. Die Serben erobern Stadt um Stadt und aus den Dörfern vertreiben sie die Zivilbevölkerung. "Ethnische Säuberungen" füllen die Konzentrationslager. Moslemische Frauen werden von den Cedniks vergewaltigt. Der Krieg fordert 130.000 Tote. Tausende Flüchtlinge strömen nach Österreich.

Und hierzulande entspinnen sich heftige Debatten um die vielen "Ausländer". Ihre Aufnahme stößt auf Schwierigkeiten, denn Österreich führt die Visumpflicht ein. Caritas-Präsident Helmut Schüller erklärt dazu: "Ich fürchte, diese Maßnahme führt dazu, dass unrechtmäßig viele Menschen, die Anspruch auf unseren Schutz hätten, keinen Schutz bekommen."

Flüchtlingsstrom nach Österreich

Zwei Wochen nach Einführung der Visumpflicht halten die Slowenen einen Zug mit 2000 Flüchtlingen an der kroatischen Grenze auf, weil Österreich die Übernahme ablehnt. Peter Quendler von der Caritas Österreich meldet sich mit einem dramatischen Hilferuf. Er appelliert an die österreichischen Politiker, einen Funken Menschlichkeit zu zeigen und die Kinder und Frauen aufzunehmen.

Schließlich macht Österreich eine Ausnahme: Der Zug darf einreisen. 68.000 Flüchtlinge sind bereits in Österreich. Gemeinsam mit Kroatien, Slowenien, Ungarn und Deutschland tragen wir die Hauptlast des Flüchtlingsstroms. Die Frage des illegalen Aufenthalts von Ausländern wird zum Thema Nr.1 der österreichischen Innenpolitik.

Im Oktober 1992 kündigt Jörg Haider eine Volksabstimmung zur Ausländerfrage an. Kardinal Franz König lehnt sie vehement ab, weil sie sich "direkt gegen Menschen richten" würde, wie er sagt. Peter Pilz, Helmut Schüller, André Heller, Ostbahn-Kurti und viele andere gründen die Pro-Ausländer-Plattform "SOS Mitmensch".

Österreich zur EG?

Ein weiterer Gegenstand von Debatten ist der geplante EG-Beitritt. Es geht unter anderem um die Frage der Neutralität. Die Koalition bekennt sich zu den Maastricht-Zielen der Europäischen Union. Also auch zur sicherheitspolitischen Zusammenarbeit.

Eine Umfrage ergibt, dass die Mehrheit der Bevölkerung 1992 noch gegen einen EG-Beitritt Österreichs ist. Aber schon bald beginnen die offiziellen Beitrittsverhandlungen.

"Macht braucht Kontrolle"

Thomas Klestil wird überraschend zum Bundespräsidenten gewählt. Sein Schlagwort: Macht braucht Kontrolle. "Kontrolle der Macht heißt Rücknahme des Parteieneinflusses aus vielen Bereichen unserer Gesellschaft", sagt er. "Es gibt eine ganze Reihe von Bereichen, wo Parteien nichts verloren haben."

Am 27. November 1992 brennt die Hofburg. Die Brandursache ist unklar. Der Schaden beträgt eine Milliarde Schilling. Die barocken Redoutensäle werden völlig zerstört. Und mit ihnen ein Stück österreichische Geschichte.

Neuerungen bei Ö1

Und noch zwei Anmerkungen zur Rundfunkgeschichte: Ö1 startet in diesem Jahr die "Klassiknacht" und die Sendung "Autofahrer unterwegs" feiert ihr 35-jähriges Jubiläum und kommt ins "Guinness Buch der Rekorde".