Türkei-Thema dominiert
Die Aufgaben der neuen EU-Kommission
Anfang Oktober wird die scheidende Europäische Kommission ihre Empfehlungen zu einem Thema präsentieren, das den politischen Herbst in Brüssel dominieren wird, nämlich ob man Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnehmen soll oder nicht.
8. April 2017, 21:58
Franz Fischler über die Zusammensetzung der Kommission
Europa ist Spitze - zumindest im Sport. Die EU-Kommission jubelte Anfang dieser Woche über den Sieg bei den Olympischen Spielen in Athen. 286 Medaillen, davon 82 in Gold gingen auf das Konto der 25 EU-Staaten. Die USA mit nur einem Drittel an Medaillen weit abgehängt. Kommissions-Präsident Prodi verband den Jubel mit einem Wunsch für die Spiele in Peking 2008: Die Delegationen der EU-Staaten sollten dort als Zeichen der Einigkeit neben der eigenen Flagge auch jene der Europäischen Union tragen.
Das durchzusetzen wird dann schon Sache von Prodis Nachfolger Jose Manuel Barroso sein. Dessen Kommission tritt am 1. November ihr Amt an. Vorausgesetzt, die designierten Kommissare überstehen die Ende September beginnenden Anhörungen und die darauf folgende Abstimmung im Europaparlament. Doch davon kann man, bei allem Respekt vor der Unabhängigkeit der Europaabgeordneten, wohl ausgehen.
Einflussverlust Deutschlands?
Geht es nach dem Echo in den Medien, ist der Start der neuen Kommission gelungen. Viel Lob heimste der Portugiese Barroso für seine Ressortverteilung ein. Besonders gut kam an, dass Barroso den Wünschen Deutschlands und Frankreichs nach wichtigen Wirtschaftsressorts oder gar einem Superkommissar widerstanden hat. Viele sprechen bereits von einem Einflussverlust Deutschlands und Frankreichs.
Für Sebastian Kurpas vom Brüsseler Center for European Policy Studies ist diese Gleichsetzung der Kommissare mit ihren Ländern eine arg verkürzte Sicht: "Es gibt mehrere Beispiele, gerade in der letzten Kommission, wo 'Vertreter' ihres jeweiligen Landes überhaupt nicht im Sinne ihres jeweiligen Landes verhalten haben. Das wäre auch fatal, wenn es so wäre, dass die Kommission nur eine Ansammlung von Vertretern nationaler Interessen ist."
Viele Liberale in der Kommission
Besonders stark vertreten sind in der neuen Kommission liberale Politiker, die noch dazu Schlüsselressorts wie den Binnenmarkt und die Landwirtschaft innehaben. Wird die Politik der nächsten Kommission deshalb liberal dominiert sein, wie manche bereits befürchten? Nein, sagt der scheidende österreichische Kommissar Franz Fischler.
"Es fällt auf, dass der Prozentsatz an Kommissaren, die einer liberalen Partei zugehören, noch nie so hoch war wie es dieses Mal der Fall ist, das ist richtig", räumt Fischler ein. "Auf der anderen Seite wird auf Grund des Kollegialitätsprinzips sichergestellt bleiben, dass die Entscheidungen, die gefällt werden, von der Mehrheit der Kommissare getragen sind und daher ist die Möglichkeit, die Politik auf der Kommissions-Ebene politisch einzufärben, sehr begrenzt."
Kommission war schon immer "liberal"
Für den Politikwissenschaftler Sebastian Kurpas ist die parteipolitische Zuordnung der Kommissare ohnehin zweitrangig: "In ihrem Kernbereichen - Wettbewerb, Binnenmarkt und die gesamte Wirtschaftspolitik - ist die Kommission immer liberal ausgerichtet gewesen."
Arbeit der Kommission besser kommunizieren
Barrosos zweite große Priorität lautet, die oft beklagte Distanz der Bürger zur EU zu überwinden, die sich in niedriger Wahlbeteiligung und schlechten Umfrageergebnissen nierderschlägt. Für Franz Fischler eine notwendige Schwerpunktsetzung: "Da ist tatsächlich viel zu tun." Man müsse dafür aber auch "der Kommission mehr Möglichkeiten in die Hand geben. Zum Beispiel ein besseres Budget für Kommunikation. Eine bessere personelle Ausstattung unserer Vertretungen in den Mitgliedstaaten, damit sie im Stande sind, auf die Anliegen der Bürger direkter einzugehen."
Man solle sich hier aber keine Illusionen machen, so Fischler: "Wenn nicht die nationale Politik selber sich vorne hin stellt und für europäische Belange eintritt, dann kann die Kommission eine noch so gute Kommunikationspolitik machen, das wird nie erfolg haben."
"Kommission muss oft defensiv agieren"
Doch nicht nur die Abhängigkeit vom guten Willen der nationalen Regierungen macht der Kommission zu schaffen. 25 Mitgliedsländer, das heißt auch 25 Öffentlichkeiten, wie der EU-Experte Sebastian Kurpas erläutert: "Wenn man eine Botschaft aussendet, die in Deutschland oder Österreich ganz wunderbar ankommt und dieselbe Botschaft in einem anderen Mitgliedsland verheerend aufgenommen wird, das führt dazu, dass die Kommission oft sehr defensiv agieren muss."
Streit-Thema Türkei
Der erste Härtetest wartet schon auf die Brüsseler Kommunikatoren: In den nächsten Jahren stimmt die Bevölkerung in einer Reihe von EU-Staaten über den Verfassungsvertrag ab. Der Kampf um die Köpfe ist bereits in vollem Gang und nicht nur in Großbritannien können die EU-Gegner auf eine breite EU-skeptische Stimmung bauen.
Für leidenschaftliche Debatten wird im Herbst auch ein anderes Thema sorgen: Die Frage, ob die Europäische Union mit der Türkei Beitrittsverhandlungen aufnehmen soll. In einem Monat wird die EU-Kommission ihren Türkei-Bericht vorlegen, verbunden mit einer Empfehlung. Allgemein wird erwartet, dass sich die Kommission für den Beginn von Verhandlungen mit der Türkei ausspricht. Folgen die Staatschefs bei ihrem Gipfel Mitte Dezember dieser Empfehlung, könnten bereits im kommenden Jahr die Verhandlungen mit der Türkei beginnen.
"Messbare Erfolge"
Eine Vorstellung, die vielen in Europa kalte Schauer über den Rücken jagt. Manche sprechen der islamischen Türkei schlicht den europäischen Charakter ab, andere sehen die EU durch die Aufnahme der Türkei wirtschaftlich überfordert. Sebastian Kurpas vom Brüsseler Center for European Policy Studies sieht zwar auch große Probleme, dennoch steht er einem Beitritt der Türkei positiv gegenüber.
"Es wird ein langer Weg dahin sein", so Kurpas. "Und es wird im Wesentlichen auf diese Verhandlungen ankommen, die viele Jahre dauern werden und deren Ergebnis offen ist. Dass Verhandlungen aufgenommen werden heißt überhaupt nicht, dass die auch erfolgreich zu Ende gebracht werden. Aber es ist nur fair, dass, wenn man einer Bevölkerung eines Landes über so viele Jahre etwas versprochen hat, dass man jetzt, wo auch in der Tat messbare Erfolge vorzuweisen sind, auch zu seinem Wort steht."
Türkei frühestens 2015 Mitglied
Ein positiver Verhandlungsausgang vorausgesetzt, könnte die Türkei frühestens um 2015 EU-Mitglied sein, so die allgemeine Einschätzung. Doch bis dahin ist es ein langer Weg.
Zuletzt gab es Berichte über Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Kommission über den Türkei-Bericht. Und Noch-Erweiterungskommissar Günter Verheugen hat zuletzt angekündigt, dass der Bericht einige Überraschungen enthalten werde. Näheres wollte er aber dazu nicht sagen. Es bleibt also spannend.
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