Rauchen statt Kämpfen!
16. Taekwondo
Rauchen ist ziemlich ungesund, aber weniger anstrengend als Sparring mit einem Schwarzgurtträger. Die Verbundenheit mit Athen wird jetzt auch nichts mehr an Philip Scheiners grundlegender Entscheidung gegen den (Kampf)Sport ändern.
8. April 2017, 21:58
Athen hat mir gut gefallen. Auf der Akropolis verlor ich deshalb gleich eine winzige Schraube. Sie gehörte zu meiner Brille. So lief ich, weil einbeinige Brillen auf meiner Nase nicht lange verweilen mögen, durch ein olfaktorisches Gestrüpp mediterraner Großstadtinkontinenz.
Dies, sowie Rauchen und Importbier Trinken: das ist mein Athen. Gäbe es ein Messgerät für sportliche Ambitionen, hätten Athen und ich zusammen keinen größeren Ausschlag erzeugt als, sagen wir, ein Weihwasserkessel oder ein leergerauchtes Päckchen Zigaretten billigster Sorte, welche neben Lagerstaub auch Tabakkrumen enthalten. Damals hatte ich, um es kurz zu fassen, Taekwondo längst vergessen.
Sinnlos ist aber nichts im Leben, gesteht man sich unter Qualen ein. Selbst der scheinbar unnötigste Zeitvertreib, folgert man müde, wird sich irgendwann in das vitale Chaos eingeordnet haben und nicht weiter auffallen. Und vielleicht - vieles ist möglich - wird man dereinst erkennen: Taekwondo hats irgendwie voll gebracht! Dass vielleicht diese Kolumne der Zweck der fernost-inspirierten Qualen war? Möglich.
Unmöglich war der Trainer. Zwei Meter und mehr, irgendein Meister aller Klassen, mit dem breitest denkbaren suburbanen Dialekt. Was er unter Semikontakt, dem Kampf mit leichtem Körperkontakt, verstand, durften wir jungen Heuschrecken beim obligatorischen Sparring erfahren. Einen von uns erwischte sie immer: seine Kunst, mit bloß angedeuteten Tritten und Hieben blaue Rippen und rebellische Hoden zu zaubern.
Der Österreichische Taekwondo Verband lässt uns Interessierte wissen: "Taekwondo ist die Kunst der unbewaffneten Selbstverteidigung". Das kann jeder sagen. Genauso gut könnte einer daherkommen und behaupten, Wasser sei zum Waschen da. Eine geistesarme Argumentation! Denken wir nur an die Wasserwerfer. Oder an Bier.
Ja, denken wir ein wenig an Bier. Stellen wir uns einen Jugendlichen vor, etwa 16, von der Gestalt einer Giacometti-Bronze, der soeben aus dem miefigen Schwitzkeller kommt, wo man ihm nicht nur einhundert Liegestütze abnötigte, sondern auch darüber hinaus gehende Disziplin verlangte. Ein Gut, mit dem der junge Mann nun wirklich nicht aufwarten kann. Durst hat er bekommen. Und einen mächtigen Gusto auf eine Trotzzigarette.
Hier zieht sich eine Bruchlinie durch mein Erdendasein. Diese Bruchlinie hätte nun gerne eine Erzählstimme. Wohlan! "Ich war", spricht sie sogleich, "die mächtigste Linie in seinem jungen Leben. Von erhitzenden sportlichen Verrenkungen hob ich ihn in die kühlen Sphären der Boheme, gab ihm einen Herbstmantel, kaltes Bier und billige Zigaretten. Ich habe sein Leben verändert, und darauf bin
" - Ja, schon gut, alles weitere habe ich dann ja wohl selbst zu verantworten!
Eines gestehe ich dir, liebe Linie, gerne zu: Hätte es dich nicht gegeben, wer weiß, vielleicht hätte ich jetzt einen Fernseher und auch schon einmal reingeschaut, während dieser Sportsache da jetzt in Athen
?
Text: Philip Scheiner ist Radiosprecher, -autor, -gestalter, -moderator, -regisseur und alles andere als sportlich begabt. Nach abgebrochener Kurzstreckenläufer-Karriere versuchte er sich als Kämpfer. Zuvor Gelegenheitsraucher, war er nun - dank Taekwondo - Kampfraucher geworden.
Links
Athen 2004
ORF.at - Spiele 04
Auch der schnöde Mammon lockte
Olympische Spiele in science.ORF.at
Österreichisches Olympia und Sport Museum