Von Triebabfuhr, Alkoholismus und Fünf-Uhr-Tee

11. Die Ping-Pong-Therapie

Wenn im Finale eines Tischtennisturniers ein Österreicher und ein Chinese einen kleinen Ball malträtieren, vergisst man leicht die kulturhistorischen Hintergründe dieses Spiels. Was es mit Triebabfuhr und Alkoholismus zu tun hat, erfahren Sie hier.

In meiner Kärntner Heimat hat man früher immer viel Tischtennis gespielt, Sommers hinter dem Haus, wenn möglich unter einem Schatten spendenden Apfelbaum, und Winters in der kalten Garage. Zumindest bis in die achtziger Jahre war das so.

Bis dahin gab es Kärnten und den Rest der Welt. Diejenigen, die in der einen Sphäre lebten, wussten über die andere kaum Bescheid, Kärnten war ein nicht enden wollender Heimatroman.

Biertrinken - ein wesentlicher Teil der Aktion

Mittlerweile hat sich durch die Globalisierung auch die Freizeitgestaltung der Jugendlichen verändert. Obwohl: Freizeitgestaltung ist das falsche Wort. Tischtennis war ja nie eine Freizeitbeschäftigung und ganz sicher kein Sport. Allein die Vorstellung, jemand spiele Tischtennis um der körperlichen Ertüchtigung wegen, hätte zu meiner Zeit für Erheiterung gesorgt.

Denn wie beim Tischfußball, dem eigentlichen Kärntner Nationalsport, war beim Tischtennis das Biertrinken ein wesentlicher Teil der Aktion. Unzählige Trinkerbiografien nahmen an der grün lackierten Pressspanplatte ihren Anfang.

Billige und schmerzfreie Ersatzhandlung

Und damit bin ich schon bei der eigentlichen, das heißt: sozial relevanten Bedeutung des Tischtennis. Es handelt sich dabei um eine billige, schmerzfreie und mit geringem Aufwand zu bewerkstelligende Ersatzhandlung. Bevor Tischtennis erfunden wurde, also vor 1880, haben sich Menschen, oder besser gesagt Männer, in der Öffentlichkeit geohrfeigt, wenn die Leere des Daseins nicht mehr zu ertragen war.

In Kärnten ging das so weit, dass junge Männer mit zerdroschenen Gesichtern im Sautrog landeten, wenn sie nicht mehr auf eigenen Füßen stehen konnten. Und Schweine beißen bekanntlich in alles, was man ihnen vor die Rüssel wirft.

"Raumtennis", fashionable englische Variante

Die englische Aristokratie, die von derlei Unsitten naturgemäß nicht einmal im Schlaf heimgesucht wurde, überlegte sich Ende des 19. Jahrhunderts, wie man zur kalten Jahreszeit gleichzeitig Tennis spielen und sich in einem geheizten Salon amüsieren könne. Mann erfand das so genannte "Raumtennis". 1896 wurde der erste Zelluloidball hergestellt, der dem heute gebräuchlichen sehr ähnlich war.

Onomatopoetisch veranlagte Menschen gebrauchten den Begriff "Ping Pong", der sich bis heute erhalten hat. 1902 schließlich erkannte ein gewisser E. C. Goode beim Bezahlen von Kopfschmerzpulver in einer Apotheke, dass die Münzen, die er auf die Gummiauflage des Tresens warf, in die Höhe sprangen.

Wieder zuhause, beklebte er das ovale Holzbrettchen, mit dem er Raumtennis zu spielen pflegte, mit einem Stück Gummimatte - und schon war der Welt eine bis heute gültige Form der Zerstreuung geschenkt. Der Welt, wie gesagt, nicht aber Kärnten.

Schicksalsjahr 1958

Das Land durchlebte zwei große Kriege und mehrere kleine, und wenn Frieden war, regierte das Gesetz der flachen Hand. Bis in die 50er Jahre fand man im Süden Österreichs keinen brauchbaren Ausgleich für die testosterontrunkene Jugend. Während der ersten Europameisterschaft 1958 (Weltmeisterschaften gab es schon seit 1926, doch die gewannen immer Spieler aus asiatischen Ländern) ging ein Ruck durchs Land.

Tischtennis bedeutet ja nichts anderes, als eine kleine Kugel zu ohrfeigen. Man muss nicht einmal eine neue Handbewegung erlernen, man schiebt einfach den Schläger vor die flache Hand und drischt auf den Ball statt auf einen Kopf.

Das tut nicht weh, und wenn man sich geschickt anstellt und den Ball unterschneidet, kriegt er den so genannten Effet, das heißt, man kann seine Flugbahn beeinflussen, die nur übers Netz und ins gegnerische Spielfeld führen muss.

Die Zähmung der letzten Wilden Österreichs

Der andere versucht es ebenso zu machen und so wird der Ball immer schneller, die Akteure entfernen sich immer weiter vom Tisch, um den Ball noch zu erwischen, die Landeskrankenhäuser, Zahnkliniken und Bezirksgerichte sind seither wesentlich entlastet und die Touristen haben allmählich die Seepromenaden erobert. Tischtennis hat die letzten Wilden Österreichs gezähmt.

Ich bin durch diese Schule gegangen und hab bei meinem letzten Match - ein Doppel mit meinem Cousin als Partner - fast das Augenlicht verloren, weil er für den Schlag seines Lebens so weit ausgeholt hat, dass sein Schläger mein Gesicht traf. Daraufhin wurden mir die Scherben meiner Brille aus beiden Augen geklaubt. Seither spiele ich Minigolf. Aber das ist ja keine olympische Disziplin, oder?

Text: Peter Zimmermann ist Mitarbeiter der Abteilung Feuilleton & Feature und dort im Speziellen Producer der Büchersendung Ex libris. Tischtennis spielt er zwar schon lange nicht mehr, diese Sportart war aber ein wesentlicher Teil jugendlicher Freizeitaktivitäten. Er brachte es im Tischtennis allerdings nur zu einer bescheidenen Meisterschaft - irgendwie ging ihm das immer zu schnell.

Links
Athen 2004
ORF.at - Spiele 04
Auch der schnöde Mammon lockte
Olympia in science.ORF.at
Die Zeit - Olympia Spezial
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