Franz Schuhs Erfahrungen mit dem Medium Radio
"Burschen, des müaßt's featuren!"
Das Radio hat seine eigene Kunstform, findet Franz Schuh. Kunst ist für ihn allerdings nicht das, was sich in Burg und Oper oder Galerien abspielt, sondern ein sorgfältiger Umgang mit dem Wort oder dem Bild. In diesem Sinne widmet er Vinzenz Ludwig Ostry eine Hommage.
8. April 2017, 21:58
Radio-Arbeit ist von einem G'hört-sich und G'hört-sich-nicht begleitet.
Die Merkwürdigkeit von Medien, die für die Massen produziert und von den Massen angenommen werden, besteht darin, dass solche Medien die Kommunikation erweitern und zugleich regulieren, also einschränken. Darin sind sie den Kirchen ähnlich, die die Leidenschaft für Gott einerseits hervorrufen, aber anderseits auch zähmen, im Rahmen halten. Das Radio erweitert die Wahrnehmungsmöglichkeiten und die Möglichkeiten, über Wahrgenommenes zu kommunizieren. Anderseits aber gibt ein Medium wie das Radio eingespielte Standards vor, Klischees, die alle Versuche, über sie hinauszukommen, sie im Radio zu transzendieren, bestrafen, und zwar mit der schrecklichen Strafe, dass diese Transzendenzen schnell "unverständlich" werden.
Radio-Arbeit ist von einem G'hört-sich und G'hört-sich-nicht begleitet. Wer lange Jahre hört, hört auch die Veränderungen mit, die in diesem Verhältnis von Erlaubt!-und-Verboten! passieren. Ach, wie liebte ich einst Vinzenz Ludwig Ostry, einen politischen Kommentator, der in seiner Stimme alle Monotonie der Welt gepachtet hatte und der seine Kommentare in einem schweren gleichförmigen Pathos herunterleierte, dass es - trotz des Stumpfsinns im Inhalt - eine Freude war. Damals musste man wie Ostry kommentieren, heute wäre es unmöglich. In meiner eigenen Arbeit fürs Radio, die oft ein bescheidener kleiner Kampf war für längere und darüber hinaus noch konzentrierte Wortstrecken, bekam auch ich aus berufenem Mund ein G'hört-sich zu hören. "Burschen", sagte der Profi nach der Anhörung eines Sendungsversuches, "Burschen, des müaßt's featuren!"
"Featuren" - das ist eine Art akustischer Dekonstruktivismus, ist die Verlagerung einer Aussage oder einer Stimmung auf verschiedene Momente und Elemente, die getrennt und dann für ein Ganzes, für das "Feature" eben, auf einander bezogen werden, die also komponiert sind. Im Feature hat das Radio eine Kunstform - "Kunst" ist in meinen Augen ja nicht allein das Hehre, das in Burg und Oper, in der Buchhandlung und in der Galerie sich abspielt. "Kunst" ist ein bestimmter, von Fall zu Fall zu beurteilender (also kritisierbarer) Umgang mit den sozialen und ästhetischen Möglichkeiten eines Mediums - mit dem Wort oder dem Bild und mit der solchen Medien jeweils assistierenden Technik.
Ja - deshalb habe ich zum Beispiel Martin Adels Radiokolleg über die Wiener Operette als Kunst empfunden: Die kommentierenden Stimmen, die moderierende Stimme und die Tonbeispiele waren derartig komponiert, derartig "gefeaturet", dass durch das akustisch aufbereitete Material hindurch ein Bild, ein Gemälde von den in der Operette gestauten und freigelassenen Energien entstanden ist. Wie nur durch Kunst bekam man plötzlich eine Ahnung! Aber alle Kunst hat ihren Preis, und ich glaube, manche der Meister des Featurens können auch im Alltagsleben bloß eine Minute dreißig hören und zugleich verstehen. Ich sehe so einen Meister vor mir, wie er, sagen wir, beim Fleischhacker dessen sachdienlichen Äußerungen lauscht und wie er nach einer Zeit nicht mehr anders kann, als zu sagen: "Burschen, des müaßt's featuren!"
"Radio Days" - so heißt ein Film von Woody Allen. Allens Sentimentalisierung der Massenmedien betrifft klugerweise deren Frühzeit, als wären sie damals noch nicht zu den wahnhaften Monströsitäten fähig gewesen, die man von ihnen jederzeit erwarten kann und die es in Ansätzen stets gibt. "Radio Days", der Film, zeigt, wie sehr Massenmedien keinen geringen Teil der Education sentimentale, der Gefühlserziehung übernommen haben. Auch das Radio, das Stimmenmedium, stimmt auf das Leben ein, das so oder so geführt werden wird. Die Prägungen gehen tief, und ich habe Freunde, die bezeugen, dass ich jedes Mal, wenn ich ins Dozieren gerate, wie Vinzenz Ludwig Ostry klinge - da ich's glaube, werde ich selig.