Museumsumgestaltung rüttelt an alten Sichtweisen
Vergangenheitsbewältigung in Belgien
Belgiens Zeit als Kolonialmacht ist eine Geschichte voller Grausamkeiten. Dieser Realität beginnen sich die Belgier erst langsam zu stellen. Ein interessantes Projekt zur Aufarbeitung der Vergangenheit ist die Umgestaltung des Afrika-Museums in Tervuren.
8. April 2017, 21:58
Das Afrika-Museum in Tervuren ist ein Museum, das vor 100 Jahren im Geiste des Imperialismus errichtet wurde und seither unberührt von historischen Erkenntnissen oder kritischen Ansätzen eine rosige Geschichte des belgischen Kolonialismus präsentieren durfte.
Doch damit soll es nun vorbei sein. Gemeinsam mit Vertretern der kongolesischen Community in Belgien und mit kongolesischen Historikern wird die koloniale Geschichte Belgiens und des Kongos kritisch beleuchtet und der historischen Wahrheit entsprechend dargestellt.
Kolonialmacht Belgien
Dass Belgien einmal eine Kolonialmacht war, ist heute vielfach vergessen. Dabei beherrschte dieses kleine Land fast ganz Zentralafrika, zunächst den Kongo und nach dem 1. Weltkrieg auch noch Burundi und Ruanda.
Das koloniale Unternehmen Kongo hat Belgien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem der reichsten Staaten der Welt gemacht und zwar in absoluten und nicht nur in relativen Zahlen. Dieser Reichtum beruhte auf zwei Dingen: Kautschuk und der Erfindung eines gewissen Dunlop: dem Autoreifen.
Hinter dieser wirtschaftlichen Erfolgsstory steckt aber eine der grausamsten Ausbeutungsgeschichten, zehntausende Kongolesen starben durch die brutalen Ausbeutungsmethoden, manche Historiker sprechen gar von einem Genozid.
Befreiung von kolonialem Geist
Um das Königliche Museum für Zentralafrika in Tervuren von seinem kolonialen Geist zu befreien hat Direktor Guido Gryseels einen viel beachteten und ungewöhnlichen Weg eingeschlagen: an der Umgestaltung des Museums arbeiten nicht nur belgische Wissenschafter mit, sondern erstens auch kongolesische Historiker, aber auch Vertreter der afrikanischen communities in Belgien.
Gemeinsam will man die auf viele Jahre gemeinsam durchlebte Geschichte neu ordnen, neu beleuchten und gemeinsam will man die Geschichte des heutigen Zentralafrika im Museum neu präsentieren.
Ängste und Befürchtungen
Eine solche radikale Umgestaltung einhergehend mit einer Neubeleuchtung der nicht immer glorreichen kolonialen Vergangenheit des Landes, weckt natürlich auch einige Ängste und Befürchtungen.
Man darf nicht vergessen, dass für viele Belgier das Rütteln an der Kolonialen Vergangenheit einem Rütteln an den Grundfesten des belgischen Staates gleichkommt. Eine Kritik an der kolonialen Politik kommt für viele Belgier mit einer Infragestellung der Monarchie gleich. Und die Monarchie wird für viele als der letzte wirkliche Kitt des belgischen Staates gewertet, ein Bindeglied, das die Gräben zwischen Flamen und Wallonen überwindet.
Der Umgestaltung des Afrika-Museums von Tervuren kommt daher eine hohe Symbolkraft zu, die nicht zu unterschätzen ist.
Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte
Bis in die 60er Jahre, also bis zur Unabhängigkeit des Kongos, wurden die Belgier mit einer rein glorifizierenden Geschichtsschreibung konfrontiert. Erst in den 80er, 90 er Jahren erschienen mehrere sehr kritische Publikationen, die eine neue Beschäftigung mit der kolonialen Vergangenheit einläuteten.
Da war z. B. das Buch des belgischen Historikers Daniel Vangroenweghe, der unter dem Titel "Roter Kautschuk" die brutale Ausbeutungsgeschichte des Kongos unter Leopold II beschreibt. Ein anderes Beispiel ist das Buch des Belgiers Ludo de Witte, der die Verwicklungen Belgiens bei der Ermordung des 1. kongolesischen Präsidenten Lumumba aufzeigte.
All diese Bücher haben viel Aufregung erzeugt und eine heftige öffentliche Diskussion in Gang gesetzt. Aus dem, in Belgien neu gewachsen, Bewusstsein heraus, dass vieles, was im heutigen Zentralafrika passiert, auch eine Folge der Kolonialzeit ist, entstand eine neue politische wie auch wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Belgien und seinen ehemaligen Kolonien.
Buch-Tipp
Adam Hochschild, "Schatten über dem Kongo", Klett-Cotta, ISBN 3608919732
Ludo de Witte, "Regierungsauftrag Mord. Der Tod Lumumbas und die Kongo-Krise", Forum Vlg Leipzig, ISBN 3931801098
Daniel Vangroenweghe, "Du sang sur les lianes : Léopold II et son Congo", Bruxelles : Didier Hatier, ISBN : 287088561X
Link
Königliches Museum für Zentralafrika