Vorbilder Skrjabin, Bruckner, Wagner
Hermann Nitsch und die Musik
Hermann Nitsch bereitet in Prinzendorf ein weiteres "Orgien und Mysterien Theater" vor: Am 31. Juli und 1. August wird die 120. Aktion dieses Projekts in Prinzendorf stattfinden. Die Musik spielt bei Nitschs Gesamtkunstwerk eine große Rolle.
8. April 2017, 21:58
Hermann Nitsch über seine Aktions-Musik
Vom Sonnenaufgang des 31. Juli bis zum Sonnenaufgang des 2. August kann man sich heuer in Prinzendorf im niederösterreichischen Weinviertel auf das Zwei-Tages-Spiel von Hermann Nitsch einlassen. Das Essen und Trinken, die Rituale und Prozessionen, deren man teilhaftig wird, die Gerüche und die Musik bündeln sich zum Gesamtkunstwerk.
Prinzendorf, Adresse: Schloss 1. Musik ertönt als Teil einer tagelangen Aktion: Volksmusik aus der Region, also niederösterreichische "Tanzlmusi" und südböhmische Blasmusik, groß dimensioniertes Schlagzeug und Lärmzeug, sowie das eigentliche Orchester in quasi-symphonischer Besetzung, das hauptsächlich zum Auf- und Abbau von langen, differenzierten, manchmal orgiastischen Klangflächen und Klangzuständen eingesetzt wird, sowie eine selten zu hörende, aber durchlaufende Quart-Quint-Orgeltonkombination.
Musikalische Parallel-Aktionen
Diese verschiedenen Ebenen der Musik von Herman Nitsch laufen teilweise parallel und synchron ab. Während das Schlagorchester lärmt, spielt die Tanzlmusi weiter, das Symphonieorchester beginnt einen Klangflächenaufbau; wenn das Lärmorchester plötzlich abbricht, steht die Geigenmusik wie alleine im Raum.
"Mein Einfluss war zuerst einmal die gesamte klassische Musik und dann war halt die übermächtige Zweite Wiener Schule da und ich hab eingesehen - vor allem in Zusammenhang mit meinem Theater: So kann ich nicht weitermachen", erläutert der Künstler. "Als ich begonnen hab' Musik zu machen, da war überall dieser Webernsche Dialekt, dieser Akzent, der beim Webern und einigen Wenigen großartig ist und bei vielen Anderen für mich unerträglich war. Da bin ich dann einen ganz anderen Weg gegangen, der die Wurzeln der Musik im Schrei, in der Dynamik und im Lärm gesehen hat."
Der Schrei sei "vor dem Wort": "Wenn der Mensch dermaßen erregt ist, dass er keine Worte mehr findet, sondern der Schrei Ausdruck seines Schmerzes oder Glückes ist."
Verbindungen zu Skrjabin, Bruckner, Wagner
Man sollte die prinzipiellen Absicht und Zielsetzung von Hermann Nitschs Kunst kennen, um diese Musik auskosten zu können. Das langsame Aufbauen orgiastischer Klang- und Rauschzustände, das intensivierende, wie Vor-sich-hin-Schieben von Klang- und Geräuschflächen, das plötzliche, wie erschrockene Abreißen oder Umkippen der Musik: All das entspringt dem Feiern des schieren Daseins in all seiner Schönheit wie auch seinen Abgründen mit Hilfe des Rituellen und Mythologischen in seiner Kunst und darin liegt auch manche Verbindung zu Musik und Absicht von Alexander Skrjabin, Anton Bruckner und Richard Wagner.
Auch wenn das nun eine verkürzte Darstellung ist: Das Ziel ist das Feiern des Daseins, des Lebens in seiner Heftigkeit von Geburt bis Tod und es hat auch, wenn man Aktionen von mehreren Tagen Länge miterlebt, etwas von Katharsis, Geläutert-Werden, beziehungsweise Geläutert-Sein. Der reinigende Prozess braucht, um überhaupt erfahrbar und wirksam zu sein, Intensität und Dauer und verlangt vor allem ein ausführliches Dabei-Sein, eigentlich ein Involviertsein, ein Teilnehmen.
"Es beutelt die Leute"
In der Kunst von Hermann Nitsch wird die Heftigkeit der Gefühle, die solche Themen auslösen, von denen ja manche Aspekte tabuisiert oder verschüttet sind, zum Mittelpunkt. "Was mich daran fasziniert, ist die ungeheuerliche sinnliche Intensität, die da frei wird. Und die wir bis zu einem gewissen Grad verdrängt haben und wenn wir dann damit konfrontiert werden, beutelt es die Leut, aber ordentlich", so Nitsch.
"Ich komme von Wagner her", bekennt der Künstler. "Das Arbeiten mit dem so genannten Leitmotiv, ist etwas, das auch von der Literatur übernommen worden ist. Thomas Mann hat sich sehr bemüht, Leitmotive in seinen Romanen klarzulegen und bei Proust ist es ähnlich." Nitschs "Geschmacksmotive" sind mit "Aktionsmotiven" und diese wiederum mit "Musikmotiven" verknüpft. "Das Gesamtkunstwerk bündelt sich synästhetisch."
Nitsch möchte Skrjabin nahe kommen
Auch Skrjabin habe ihn sehr beeinflusst, so Nitsch: "Wer meine Schriften liest, wird sehen, dass immer wieder Skrjabin auftaucht. Diese Farbprojektionen und diese überkandidelte Musik, die eigentlich die Konsequenz dann im Schönberg hatte. Wenn es mir nur ein bisschen gelänge, mit meiner Arbeit und meiner Musik in die Nähe dessen zu kommen, dann hätte vieles von dem, was ich mache, eine Berechtigung."
Nitschs durcheinander geraten wirkende Musik ist nicht willkürlich, ganz im Gegenteil, sie ist eine präzise, wenn auch orgiastische Verankerung all des Abendländisch-Rituellen im Ort des Geschehens, wie auch der Wein bei solchen Gelegenheiten von den Rieden mancher Hügel rundherum stammt.