Auf der Suche nach dem Gemeinsamen

Tradition und Traditionsbruch

Traditionen und der Bruch von Traditionen zählen zu den wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit. Angesichts der entfesselten Globalisierung, die sich über sämtliche Traditionen hinwegsetzt, ist eine Gegenbewegung deutlich erkennbar.

Die Tradition erfreut sich großer Wertschätzung. Man verbindet mit ihr Geborgenheit oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur. Im positiven Sinn bedeutet Tradition Bewahrung und Übergabe kultureller, religiöser oder philosophischer Werte.

Tradition kann aber auch zum Alptraum werden; vor allem dann, wenn sie sich verselbständigt und das Individuum zwingt, sich bedingungslos den vorgeschriebenen Normen zu unterwerfen. Dann hat der Traditionsbruch gefährliche Folgen. Im Namen der geheiligten Tradition wird gefoltert und gemordet. Selbsternannte Hüter der Tradition überprüfen die Einhaltung des Kanons und hinterlassen eine blutige Spur.

Einseitige Sichtweisen

Es droht allerdings der Pluralität der westlichen Geistesgeschichte die Gefahr, die Welt durch wissenschaftliche Methodik erklären zu wollen. René Descartes hat diesen Willen zur Regelbefolgung in seiner Abhandlung "Über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs" exemplarisch formuliert: "Wenn man stets die notwendige Ordnung beobachte" - so heißt es dort - "um das eine aus dem anderen abzuleiten, so könnte nichts so entfernt sein, dass man es nicht erreichen könne und nichts so verborgen, dass man es nicht zu entdecken vermöchte."

Interkulturelle Philosophie

"Halte keine philosophische These für gut begründet, an deren Zustandekommen nur Menschen einer einzigen kulturellen Tradition beteiligt waren": So lautet die oberste Maxime der interkulturellen Philosophie. Einen gleichberechtigten philosophischen Dialog zwischen den Kulturen anzuregen, das ist das Ziel der interkulturellen Philosophie.

Gefragt ist der interkulturelle Dialog, der sich um eine Verständigung zwischen verschiedenen Kulturen bemüht. Er bekämpft eine Auffassung, die der Philosoph Paul Feyerabend so formulierte: "Es gibt auf der Welt Menschen, die besondere Kenntnisse besitzen" - so notierte er - "das ist begrüßenswert, aber einige dieser Menschen bilden sich ein, dass ihre Kenntnisse allein zählen."

Afrikanische und europäische Philosophie

Interkulturelle Verbindungen gibt es auch zwischen afrikanischer und europäischer Philosophie; wobei man sich klar sein muss, dass man nicht von "einer" afrikanischen Philosophie sprechen kann, sondern von einer Vielfalt von unterschiedlichen philosophischen Traditionen.

Das Spektrum reicht von Philosophen, die sich am Standard der europäischen Philosophie orientieren bis zur so genannten "sage-philosophy", die sich als mündliche Lehre von der Weisheit versteht.

Der direkte Zugang zum Menschen

Einzelne Philosophen und Philosophinnen arbeiten nun im Sinn des französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss an einer "Bricolage"; an einer experimentellen Bastelei, die Elemente europäischer Philosophien mit afrikanischen Mythologien verbindet. Im Mittelpunkt steht nicht eine subjektorientierte Philosophie, die den Kult des Rationalismus betreibt, sondern der direkte Zugang auf Menschen, der auch die Sinnlichkeit und die leibliche Verankerung betont.

Bestes Beispiel dafür ist eine Reggae-Gruppe aus Senegal - Alpha Blondy - sie arbeiten an einer musikalischen "Bricolage", die extreme menschliche Zustände wie Paranoia, Ekstase und Tod thematisiert.