Denker, Philosoph und Lebemann

Sören Kierkegaard

Er war Vigilius Haufniensis, Viktor Eremita und Johannes de Silentio. Zumindest schrieb er Bücher unter diesen Namen. Er war Theologe und Philosoph, aber auch Dandy und Flaneur, ein Ironiker mit Schwermut geschlagen: Sören Kierkegaard.

Sören Kierkegaard, der dänische Dichter und Denker, war ein Mensch mit vielen Gesichtern und Masken. "Ich habe die Leute immer zum Narren gehalten", sagte er. Den Menschen hinter den Masken aufzuspüren, die "Verwicklung Kierkegaards in sein Werk und seine Zeit" zu erhellen, das versucht auf fast 1.000 Seiten die große Kierkegaard-Biografie von Joakim Garff.

Boheme und Selbstinszenierung

"Kierkegaard wird immer als die einzige interessante Figur des 'Goldenen Zeitalters' in Dänemark dargestellt, umgeben von einer Schar einfältiger, uninteressanter Figuren. Diesen Eindruck wollte ich zurechtrücken: Viele seiner Zeitgenossen waren in keinster Weise dumm oder ignorant. Sie hatten enorme Bedeutung für Kierkegaard."

Bevor er seine berühmten Schriften wie "Entweder - Oder", "Die Krankheit zum Tode" oder "Philosophische Brocken" zu Papier brachte, war Kierkegaard ein Bohemien: extravagante Kleidung samt Spazierstöcken und Seidenschals, kistenweise Zigarren und teure Weine, dazu ständige Theater- und Kaffeehausbesuche zeugen von der Verschwendungs- und Inszenierungslust Kierkegaards, eines Theologie-Studenten ohne Sympathie für die Amtskirche, eines Philosophie-Interessierten ohne Affinität zur Schulphilosophie, der vor allem eines werden wollte: ein freier Schriftsteller, den nichts weiter beschäftigt, als den eigenen "Ichsinn" (das eigene Innenleben) zu erforschen.

Hypothek aus Traumata

Dazu setzte ihn das nicht unbeträchtliche Vermögen des Vaters imstande, das er nach dessen Tod 1838 erbte. Außer Geld erbte das siebte und jüngste Kind eines wohlhabenden Kopenhagener Wollhändlers auch eine Hypothek aus Traumata und Schuldkomplexen. Der tyrannische, pietistisch-strenge Vater begriff das Unheil der Familie - die erste Frau und fünf der sieben Kinder starben früh - als persönliche Strafe Gottes und predigte stur Gehorsam und Verzicht.

"Meinem Vater verdanke ich menschlich gesprochen alles. Er hat mich auf jede Weise so unglücklich gemacht wie möglich, hat bewirkt, dass meine Jugend eine Qual ohnegleichen wurde...", klagte Kierkegaard. Rettung aus dieser Qual versprach nur das Schreiben.

Verliebt in den Widerspruch

Kierkegaard war ein besessener Schreiber. In weniger als zwei Jahrzehnten verfasste er 55 Bücher, dazu rund 75 Journale und Notizbücher; Bücher, die religiöse, philosophische und psychologische Themen zum Gegenstand haben, aber vor allem: Kierkegaard selbst. Auch wenn er über Ironie, Angst oder Verführung schrieb, über Verzweiflung oder Christentum, so hat er doch immer auch von sich gesprochen.

"Ich kann mich nicht einmal vergessen, wenn ich schlafe", sagte er, beherrscht von der Idee, dass die Wahrheit nur die eigene Existenz sei. Kierkegaard war verliebt in die gnadenlose Introspektion, in das Schuldgefühl, in die Märtyrer-Rolle, in den Widerspruch.

Der Geist des Existenzialismus

Er habe nichts von der Welt gesehen, sagte Kierkegaard, "bloß eine Inlandsreise innerhalb des eigenen Bewusstseins unternommen". Diese "Inlandsreise" schildert Joakim Garff, ein 44-jähriger Theologe und ausgewiesener Kierkegaard-Experte, geradezu minutiös und detailverliebt: Garff wertet Abrechnungen und Einkaufslisten, Schulnachrichten, aber auch Speisezettel aus. Das macht die Gedanken Kierkegaards nicht verständlicher, wohl aber den Hintergrund plastischer: den "Komplex Kierkegaard", wie sein Biograf das nennt, der erklärt, aber nicht enträtselt wird.

Sich plumper Psychologisierungen versagend, macht Garffs voluminöser Lebensbeschreibung doch deutlich, wie ganz persönliche Tragödien und Kränkungen Denken bedingen und hervorbringen, ein Denken, in dem das Publikum später den Geist des Existenzialismus erkannte, der freilich mehr an einzelnen Buchtiteln festgemacht wurde als an den komplizierten Abhandlungen selbst.

Gründlich, anschaulich und faktenreich

Man hat Joakim Garff vorgeworfen, nicht alle wichtigen Werke Kierkegaards einigermaßen angemessen zu würdigen. In der Tat erfährt man über des Philosophen Vorliebe für Bouillon mehr als über "Die Krankheit zum Tode". Das ändert nichts daran, dass dieses Buch eine Pionierleistung ist, gründlich, anschaulich und faktenreich. Es ist der Stand der Dinge nicht in der Kierkegaard-Interpretation, wohl aber in der Kierkegaard-Biografik, auch wenn es für den Autor nicht mehr als eine Annäherung ist. Für Joakim Garff ist Vigilius Haufniensis alias Viktor Eremita alias Sören Kierkegaard eine "Figur, mit der man nie richtig fertig wird".

Buch-Tipp
Joakim Garff, "Sören Kierkegaard", Biografie, aus dem Dänischen von Herbert Zeichner und Hermann Schmid, Carl Hanser Verlag, ISBN 3446204792