Alles ist Wirtschaft
Sex, Drugs & Economics
Sex sells. Dieses Motto gilt auch für Wirtschaftsbücher. Um bei dem Überangebot an Einführungen in die Wirtschaft überhaupt noch Leser zu finden, verwendet die britische Ökonomin Diane Coyle poppige und ungewöhnlich Beispiele für ihre Themen.
8. April 2017, 21:58
Die Ehe, der Sport, Kriminalität, Drogenhandel, Bildung, Filmproduktion und auch Sex: Fast alle menschlichen Aktivitäten lassen sich unter einem wirtschaftlichen Aspekt betrachten. Dabei stößt man auf interessante Fragen: So wundert sich z.B. ein britischer Ökonom, warum das Angebot an Prostituierten nicht größer ist, obwohl der Stundenlohn dieser Berufsgruppe etwa dem von Spitzenanwältinnen entspricht. Die Wirtschaftsjournalistin Diane Coyle hat dafür zwei Erklärungen parat. Einerseits scheuen viele Frauen trotz der guten Einkommenschancen aus nachvollziehbaren Gründen davor zurück, sich zu prostituieren.
Die andere Erklärung liegt in der ausgeprägten Produktdifferenzierung:
Ist Ihnen ein Schulmädchen lieber oder eine Domina?
Anders als bei Dosensuppen sind auch Preisvergleiche schwierig, und außerdem entwickeln viele Stammkunden Vertrauensbeziehungen zu ihren Dienstleisterinnen, so dass die Preisbildung auf dem Sex-Markt nicht ganz wie im Lehrbuch vonstatten geht.
Sex & Drugs
"Sex sells" gilt auch für Wirtschaftsbücher. Die britische Ökonomin Diane Coyle verwendet poppige und ungewöhnlich Beispiele für Themen, die ansonsten jedes Volkswirtschaftslehrbuch behandelt: Angebot und Nachfrage, externe Effekte, abnehmender Grenznutzen, steigende Skalenerträge, Marktversagen, öffentliche Güter usw.
Coyle verzichtet aber auf eine systematische Abhandlung, und erörtert stattdessen kapitelweise wichtige wirtschaftspolitische Themen. Zum Beispiel die Frage, wie der Staat auf den Konsum von Drogen reagieren sollte.
Angenommen, eine Regierung würde beschließen, ihre Politik hinsichtlich weicher Drogen wie Cannabis zu liberalisieren und kleine Mengen für den persönlichen Gebrauch sowie lizenzierte Händler zu erlauben: Das würde die Zahl der Anbieter erhöhen und die Macht organisierter Banden verringern. Die Preise würden fallen. Die Polizei müsste sich mit weniger Verbrechen beschäftigen, was eine Senkung des Polizeibudgets zur Folge hätte. Auch der Schaden, der der Gesellschaft durch Eigentumsdelikte und Gewalt entsteht, würde sich reduzieren. Die Qualität wäre leichter zu kontrollieren, und die Gesundheit der Konsumenten würde sich verbessern. Außerdem ergäben sich für die Regierung Einnahmen durch die Besteuerung eines legalen Gewerbes.
Staatliche Unterstützung für Impfstoffe gefragt
Dem Titel des Buches, "Sex, drugs and economics", gemäß, werden die Themen Sex und Drogen in den ersten beiden Kapiteln abgehandelt. Was folgt, ist weniger spektakulär. Warum sind die Übertragungsrechte von Sportereignissen so teuer? Oder: Wie kann sich die Musikindustrie gegen illegale Musiknutzung schützen? Auf all diese Fragen antwortet Diane Coyle mit den Erkenntnissen der Wirtschaftswissenschaft.
Diane Coyle bietet keine neutrale Einführung, sondern bezieht zu allen Fragen ein persönliche Position. So spricht sie sich für staatliche Anreize zur Entwicklung bestimmter Impfstoffe aus.
Ein Impfstoff gegen HIV wäre eindeutig ein globales öffentliches Gut. Sein Nutzen für die Gemeinschaft würde denjenigen für den Einzelnen übersteigen. Das bedeutet, dass private Unternehmen ohne Beteiligung des Staates zu wenig in seine Entwicklung investieren.
Nur mehr Arbeitslose?
Ob man Coyles Argumentationen in jedem Fall nachvollziehen will oder nicht, sie versucht stets, ihren Standpunkt mit wirtschaftswissenschaftlichen Überlegungen zu begründen.
Überzeugend klingen daher auch ihre Argumente, gegen die "Das Boot ist voll"-Therorie, die besagt, dass Einwanderer Arbeitsplätze wegnehmen würden.
Hier unterscheidet sich die Sicht des Ökonomen am deutlichsten von der anderer Leute. Man bezeichnet das Phänomen als "Irrglaube von der festen Arbeitsmenge". Der Fehler liegt in der Annahme, dass es nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitsplätzen gibt. Wenn ein Teil von ihnen also an Ausländer geht, sind weniger für die Einheimischen übrig. In der Realität trifft das nicht zu. Träfe es zu, so wären wir - eingedenk der Tatsache, dass die Bevölkerung bis vor kurzem stetig gewachsen ist - irgendwann alle arbeitslos.
Diana Coyle versucht hingegen nachzuweisen, dass Einwanderer in der Regel zum Wachstum der Wirtschaft und damit zu mehr Wohlstand beitragen.
Die Schwellenangst nehmen
Die liberale Ökonomin bietet eine gut lesbare Einführung in die Wirtschaft und versucht, mit ihren unkonventionellen Beispielen dem Leser die Schwellenangst zu nehmen, sich mit Wirtschaftstheorie zu beschäftigen.
Buch-Tipp
Diane Coyle, "Sex, Drugs & Economics", übersetzt von Sonja Hauser, Campus Verlag, ISBN 3593374285