Staudämme oder traditionelle Reservoire?

Wasser: heilig, schmutzig, knapp

125 Millionen Inder haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Doch Indien hat Milliarden Dollar in Wasserprojekte investiert. Nun stellt sich die Frage, ob riesige Staudämme oder Jahrhunderte alte Methoden die bessere Lösung sind.

Die pro Kopf und Jahr verfügbare Wassermenge in Indien sinkt beständig. 125 Millionen Inder haben nach UNO-Angaben schon heute keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser. Landesweit sinkt dazu infolge der Verschmutzung die Wasserqualität. Doch wie ist der Krise beizukommen - mit noch mehr Großstaudämmen, Flussvernetzung oder traditionellen Methoden?

Entschlammung durch landlose Dalits

"Wir bildeten drei Gruppen mit je 18 Arbeitern und machten uns an die Entschlammung des Wasserreservoirs. Den Schlamm brachten wir auf die Felder der Bauern. Drei Monate lang waren wir so beschäftigt. Wir verdienten 60 bis 70 Rupien - etwas mehr als einen Euro am Tag; die Hälfte erhielten wir bar, den Rest in Form von Reis“, erzählt Vallamdas, einer der zahllosen am Existenzminimum lebenden Arbeiter in Andhra Pradesh.

Gemeinsam mit einigen anderen Arbeitern, allesamt landlose Dalits (Unberührbare), steht er am Rande des Reservoirs von Wadlakonda, einem kleinen Dorf in diesem südindischen Bundesstaat. Es handelt sich um einen vor Jahrhunderten angelegten künstlichen Teich, der nun wieder voll mit Wasser ist.

Beispiele für die erfolgreiche Renovierung uralter Reservoire, die vom modernen staatlichen Wassermanagement lange vernachlässigt wurden, gibt es inzwischen in vielen Teilen Indiens. Das schafft Arbeit für die Ärmsten, und der Schlamm wird als Dünger verwendet. Wo immer die Reservoire erneuert werden, steigt das Grundwasser. In einigen Regionen von Rajasthan begannen dank dieser lokalen Praktiken Jahrzehnte lang vertrocknete Flüsse wieder Wasser zu führen.

Unzählige Reservoire zu wenig?

Hunderttausende Reservoire soll es im Subkontinent gegeben haben. In feuchten Regionen wurden sie an der Erdoberfläche angelegt, in trockenen Regionen mit hoher Verdunstung unterirdisch. Überall gab es Wassererntepraktiken, die der Geographie, der Bodenbeschaffenheit und den Regenmustern entsprachen.

Doch das war vor der Unabhängigkeit Indiens 1947. Seit damals hat sich die Bevölkerung des Landes auf mehr als eine Milliarde Menschen verdreifacht. Urbanisierung und Industrialisierung sind rasch vorangeschritten; der Wasserverbrauch ist enorm gestiegen. Die pro Kopf und Jahr verfügbare Wassermenge ist zugleich von 6000 Kubikmeter 1947 auf 1250 Kubikmeter 2004 gesunken, heißt es beim Forschungsinstitut für Energie und Ressourcen, Teri, in Neu Delhi.

2050 könnten es laut Prognosen nur noch 750 Kubikmeter sein - bei 500 Kubikmeter tritt laut internationalen Kriterien ein absoluter Wassermangel ein.

Die Folgen der Wasserknappheit

Durch Urbanisierung und Industrialisierung, vor allem aber durch die Verschmutzung des Grundwassers haben 125 Millionen Inder nach UNO-Angaben schon heute keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser. Dabei spielt Wasser bei allen religiösen Zeremonien und Ritualen der Hindus eine wichtige Rolle. Das Thema Wasserversorgung im unabhängigen Indien ist auch ein vorrangiges Anliegen der Politik gewesen, betont Sumita Dasgupta vom Zentrum für Wissenschaft und Umwelt (CSE) in Neu Delhi: "Die Investitionen gingen vor allem in zwei Bereiche - in Dämme, Kanäle und riesige Bewässerungsprojekte, sowie in die Trinkwasserversorgung.“

Über die Sinnhaftigkeit großer Staudämme ist weltweit viel diskutiert worden. In einem kritischen Bericht zeigte die Weltkommission für Staudämme zur Millenniumswende die verheerenden sozialen und ökologischen Folgen auf. Sumita Dasgupta will Dämme nicht pauschal verurteilen. Sie beklagt jedoch, dass "wir dabei auf unsere eigenen traditionellen Methoden des Wassermanagements vergaßen. Die waren Teil unserer Kultur und stark dezentralisiert.“

Gesetze und Initiativen

In Indien wurde schon in den 70er Jahren deutlich, dass die Milliarden-Investitionen nicht die erhofften Dividenden brachten. Viele Probleme tauchten auf wie die Verschlammung der Kanäle und die Ungleichheit bei der Wasserverteilung. Einzelne Nichtregierungsorganisationen (NROs) begannen schon damals mit der Entwicklung von Watersheds, lokaler Wassereinzugsgebiete. In einigen Millionen-Städten wie Neu Delhi gibt es heute Gesetze, wonach jedes neue Gebäude mit einer Anlage für Regenwasserernte am Dach versehen werden muss. Aber sind solche Initiativen genug? Oder braucht man weiterhin auch riesige Projekte? In dieser Frage scheiden sich die Geister.

Die größten Investitionen aller Zeiten plant die indische Regierung jedenfalls für das Fluss-Vernetzungsprojekt. Mit Hilfe von Großstaudämmen und Kanälen sollen die großen Flüsse des Landes miteinander verbunden werden. Überschwemmungen und Dürrekatastrophen sollen so für immer gebannt werden, heißt es. Überschüssiges Wasser aus einer Region könnte dann in eine Trockenregion geleitet werden. Derzeit werden Machbarkeitsstudien für das umstrittene Projekt erstellt.

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