Besiegte Befreite

Der Irak

Der Wegfall aller Regeln nach dem Krieg macht der irakischen Bevölkerung zu schaffen. Sihem Bensedrine, eine arabische Journalistin, schildert Begegnungen mit Irakern, die versuchen mit der Nachkriegsordnung zu recht zu kommen.

Wer keinen Mitgliedsausweis der Bath-Partei hatte, galt als Feind und Verräter. Er konnte nicht arbeiten, nicht einmal Kinder in die Schule schicken, keinerlei öffentliche Dienstleistung in Anspruch nehmen. Nur wer tot war oder im Exil, brauchte keinen Mitgliedsausweis. So ereifert sich eine Oberkellnerin in einem irakischen Hotel. Sie werde nur dann weiter beschäftigt, wenn Sie ein Formular unterschreibe auf dem sie erklärt, kein Mitglied der Bath Partei gewesen zu sein. Die Abrechnung mit der Bath Partei sei nicht Sache der Amerikaner, sondern der Iraker, meint die Oberkellnerin. Doch was soll sie tun. Sie versorgt ganz alleine ihre Familie, Vater und Brüder sind arbeitslos.

Leben nach dem Krieg

Sihem Bensedrine schildert Begegnungen mit Irakern. Mit ganz normalen Irakern, die versuchen mit der Nachkriegsordnung zu recht zu kommen. Sihem Bensedrine ist Tunesierin, eine Dissidentin, die im eigenen Land politisch verfolgt wird. Eine Frau, die sich vorstellen kann, wie es in einer Diktatur zuging.

Dennoch gefriert ihr mehr als einmal das Blut in den Adern. "Eine arabische Journalistin erlebt den besetzten Irak" lautet der Untertitel zu Ihrem Buch "Besiegte Befreite". Es ist das bisher beste, weil unmittelbarste Buch über den Irak nach Saddam Hussein.

Kein Trinkwasser, kaputte Felder

"Besiegte Befreite" besteht aus einigen Reflexionen der Autorin, in erster Linie aber aus wiedergegebenen Gesprächen. In einem Lokal ohne Stühle, Plünderer haben sie fort geschleppt, lernt die Journalistin einen Mann kennen, der von den Umweltbelastungen erzählt.

Der Tigris liefert schon lange keine Fische mehr, ungeklärte Abwässer seien schuld. Das Trinkwasser wird nicht mehr aufbereitet, auf die Bewässerungsfelder sei Salzwasser gekommen, die Kulturen sind kaputt gegangen.

Ausgeschlossene Elite

300 Tonnen abgereichertes Uran soll in der Region eingesetzt worden sein. Die Amerikaner, die pausenlos Vorträge über Demokratie halten, sollten zuerst dafür sorgen, dass die Menschen sauberes Trinkwasser haben, gesunde Luft und fruchtbare Böden.

Auf Befragung gibt sich der Mann als Physiker zu erkennen, als ehemaliger Universitätsprofessor, heute arbeitslos. Wie die meisten Experten. Wie die ehemaligen Soldaten, wie die ehemaligen Mitarbeiter diverser Ministerien. Wer in der Bath-Partei war, soll keinen Job bekommen. Doch wer konnte es sich leisten, nicht in der Bath Partei zu sein?

Das Ungeheuerliche als Realität

Wen auch immer Sihem Bensedrine trifft, er oder sie hat eine Geschichte der Verfolgung zu erzählen, war gefoltert worden, eingesperrt. Monatelang, oft jahrelang. Das Ungeheuerliche war jahrlang Realität im Irak. Brüder mussten Exekution ihrer Schwester beiwohnen, Kinder wurden entführt.

Wie wird man damit fertig, wenn man regelrechte Rundreisen durch die Gefängnisse des Landes antreten musste? Wie kann eine solchermaßen zerstörte Generation von heute auf morgen auf Demokratie umschalten? Sihem Bensedrine findet keinen optimistischen Schluss für ihr Buch.

Im UNO-Beauftragten Sergio de Mello sah die Autorin einen Hoffnungsschimmer, ihm traute sie zu, den Irakern Mut und Entschlossenheit zu vermitteln, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sergio de Mello starb am 19. August des Vorjahres zusammen mit 24 anderen Menschen bei einem Anschlag, der das Hauptquartier der UNO-Vertretung in Bagdad zerstörte.

Buch-Tipp
Sihem Bensedrine, "Besiegte Befreite", übersetzt von Ursel Schäfer, Kunstmann Verlag, ISBN 3888973627