Schwierige Annäherung

Rom und Byzanz

Das Christentum ist wie alle Religionen eine historisch gewachsene Vielfalt, die sich aus den Wurzeln des Evangeliums entwickelt hat. In die Beurteilung des Verhältnisses von Katholizismus und Orthodoxie ist in den letzten Jahren erstaunliche Bewegung gekommen.

Wer beginnt, die bunte Landschaft christlicher Kirchen genauer wahrzunehmen, lernt rasch, dass eines nicht stimmt: die Vorstellung, dass es "das Christentum" schlechthin gibt. Am ehesten könnte man das Christentum vielleicht einem Baum vergleichen, der nicht aus einem einzigen Stamm, sondern aus vielen Stämmen besteht, die alle durch das gleiche Wurzelwerk verbunden sind.

Vor allem im ersten Jahrtausend des Christentums war die Vielfalt kirchlicher Formen und Bekenntnisse ganz selbstverständlich. "Die Kirche durfte den Völkern nicht fremd bleiben. Aber sie durfte sich ihnen auch nicht in solchem Ausmaß anpassen, dass sie sich selber untreu, sich selber entfremdet worden wäre", charakterisiert Ernst Christoph Suttner, Professor für Ostkirchenkunde in Wien diesen Prozess der Inkulturation.

Komplexe Geschichte

Die Trennung zwischen Ost- und Westkirche datiert man meist mit 1054. Doch die Geschichte ist anders und komplizierter.

Damals versuchte eine Reformbewegung in der lateinischen Kirche des Westens die Stellung des Papstes aufzuwerten - auch politisch. In der griechischsprachigen Kirche des Ostens gab es hingegen ein prekäres Gleichgewicht zwischen dem Patriarchen von Byzanz und dem byzantinischen Kaiser.

Im Streit um diese Fragen exkommunizierten einander die römischen Abgesandten und der Patriarch in Byzanz. Von einer Trennung zwischen den Kirchen kann jedoch nicht die Rede sein.

Differenziertes Bild

Ernst Christoph Suttner hat in seiner Studie über "Schismen, die von der Kirche trennen, und Schismen, die von der Kirche nicht trennen" das Verhältnis von Ost- und Westkirche genau nachgezeichnet. Seine neuen Erkenntnisse sind in gewisser Weise bahnbrechend - denn sie zeigen, dass die strikte Trennung zwischen Ost- und Westkirche erst knappe 250 Jahre alt ist.

1456 eroberten die Osmanen Byzanz. Die Christen in ihrem Herrschaftsbereich gehörten zum Teil den katholischen, zum Teil den orthodoxen Kirchen an. Bis weit ins 17. Jahrhundert hinein waren die Grenzen zwischen den Kirchen durchlässig, und Priester der einen Kirche betreuten Gläubige der anderen Kirche. Erst 1729 war damit ein Ende.

Die römische Kongregation für Glaubensverbreitung, propaganda fidei, erließ ein Dekret, das jede Gebets-, Gottesdienst- oder Sakramentengemeinschaft zwischen Katholiken und Nicht-Katholiken für künftige Zeiten strikt untersagte. Angehörige der orthodoxen Kirche wurden damit als Schismatiker und Häretiker verurteilt. Im Gegenzug erklärten die griechischen Patriarchen die Sakramente katholischer Christen als ungültig, und dies machte in den anderen nationalen orthodoxen Kirchen Schule. Die Würde der griechischen Kirchen wurde damit ausdrücklich in Zweifel gezogen.

Späte Annäherung

1958 bot Papst Johannes XXIII. dem griechischen Patriarchen Athenagoras in seiner aller ersten Ansprache im italienischen Radio Verhandlungen an. Und nach fast 1000 Jahren begann das Wunder der Versöhnung zwischen den Kirchen. 1965 wurden die Exkommunikationsbullen von 1054 zurückgenommen, und seither wird in vielen kleinen Schritten an der Versöhnung gearbeitet. Freilich nicht ohne Pannen und Schwierigkeiten.

Neue Spannungen

Nach dem Fall des Sowjet-Imperiums werden die orthodoxen Kirchen wieder zu Trägern nationaler und politischer Identität. Vor allem in Russland kommt es deswegen immer wieder zu Spannungen zwischen der römisch-katholischen und der russisch-orthodoxen Kirche. Es geht wie immer um Macht und Einfluss, aber auch um die Selbständigkeit der orthodoxen Kirche. Mittlerweile haben orthodoxe und katholische Theologen zwar wieder eine gute gemeinsame Basis gefunden, doch das Problem ist und bleibt der Anspruch des Papstes auf eine rechtliche Vorrangstellung, sagt Metropolit Serafin von der rumänisch-orthodoxe in Wien.

Trotz allem: die Kirchen kommen einander näher, und so mancher Katholik hat die Faszination der ostkirchlichen Liturgie und Meditationspraxis für sich entdeckt. Denn eine Stärke der orthodoxen Kirchen ist eindeutig, dass sie das Existentielle mehr betonen als das legalistische. Und vielleicht spiegelt sich das unerforschbare Geheimnis Gottes ja in der Vielfalt der Kirchen wieder...