Zwischen Haustier und Schlachtvieh
Zum Fressen gern
Ist die weitgehende Abwesenheit von Tieren in der Öffentlichkeit eine Voraussetzung für die Menge an Kuscheltieren, mit denen heute Kinder wie Erwachsene beschenkt werden? In seinem Buch setzt sich Bernhard Kathan mit Fragen wie diesen auseinander.
8. April 2017, 21:58
Die Menschheit hat lange Zeit benötigt, um eine klare Trennlinie zwischen sich und den Tieren zu ziehen. Immer wieder drohte der Mensch mit den Tieren zu verschwimmen. (...) Bezeichnenderweise hat sich die kleinbäuerliche Kultur bis in die Gegenwart als resistent gegen alle Vorstellungen heutiger Tierliebe erwiesen.
Schlachttier contra Kuscheltier
Der Innsbrucker Autor und Kulturhistoriker Bernard Kathan ist weder ein übertrieben sentimentaler Tierschützer, noch ein Tierverächter. Sein Buch ist eine Kulturgeschichte der Tierliebe. Kathan versucht darin unter anderem jene historische Zäsur zu finden, an der das Schlachttier und das Kuscheltier für uns Menschen zu zwei verschiedenen Gattungen wurden:
Wurden früher alle jene Tiere als Haustiere bezeichnet, die in das Gefüge menschlicher Lebensorganisation integriert waren, so werden Nutztiere wie das Pferd, das Rind, das Schwein oder das Huhn längst nicht mehr dieser Kategorie zugeordnet. Übrig geblieben sind Tiere, die Beziehungsfunktionen übernehmen, wie Hund oder Katze. Die Gesten, mit denen wir diesen Tieren begegnen, erinnern durchwegs an solche, die wir gegenüber Kindern anwenden. Wir füttern, versorgen und streicheln sie, wir betrachten sie stolz und sind glücklich, wenn sie unseren Blick erwidern.
Tierliebe bedeutet nicht, alle Tiere zu lieben
Heute werden einerseits Unsummen für tierpädagogisch "richtiges" Katzen- und Hunde-Spielzeug ausgegeben, während andererseits Fleisch aus konventioneller Tierhaltung nach wie vor das so genannte "Normale" ist. Kälber und Ferkel werden in großen Massen unter folterähnlichen Bedingungen gehalten und geschlachtet, während ein tragisches Hundeschicksal durchaus großes mediales Interesse hervorrufen kann.
Zweifellos ist die Tierschutzbewegung eines der erfolgreichsten Projekte der neueren Geschichte. (...) Aber ein nüchterner Blick auf die heutige gesellschaftliche Wirklichkeit zeigt, dass Tierliebe und Empfindungsvermögen nicht unbedingt miteinander zu tun haben müssen.
Was heißt hier "artgerechte Haltung"?
Bernhard Kathan hält sich in seinem Buch nicht mit Polemiken auf, sondern stellt erhellendes Material bereit. Historische und moderne Abbildungen, Texte aus den verschiedensten kulturellen Zusammenhängen, Filmzitate, Redewendungen, Tischsitten und Gebräuche werden einander gegenübergestellt.
Was heißt "artgerechte Tierhaltung" aus der Warte eines Bauern, und was heißt es aus der Warte eines Hundebesitzers? Die Trennung zwischen dem Schlachtvieh und dem Kuscheltier vollzog sich im Zuge der Industrialisierung, die das Schlachttier zur Ware machte. Damit war es - im Unterschied zum Haustier - kein Objekt des menschlichen Mitgefühls mehr. Aber für Bernhard Kathan ist diese Entwicklung auf eine subtile Weise längst weitergegangen, und hat auch das Haustier erfasst.
Es sind traurige Tiergestalten, mit denen wir uns umgeben. Oft sind sie vollkommen neurotisch, fast ausschließlich auf den Menschen fixiert. Wenn auch auf andere Weise, so sind sie doch ähnlich stark verkümmert wie die Tiere im Zoo oder in den Mastbetrieben. Sie sind weit entfernt von den Möglichkeiten, die in ihnen angelegt sind. Heutige Haustiere werden zwar in Beziehungskonstrukten gedacht, aber es kann keinen Zweifel geben, dass die häusliche Ausbeutung und Verwertung jener in den Betrieben der Agro-Industrie in nichts nachsteht.
Leben und Sterben in Würde
Unter einem Leben in Würde hat man zu verschiedenen Zeiten Verschiedenes verstanden. Auch der Tod hatte nicht immer den gleichen Stellenwert, sowohl auf Menschen als auch auf Tiere bezogen. Unsere Reaktion auf Tierschmerz und Tiertod, so Bernhard Kathan, lässt ganz unsentimentale Schlüsse auf den Zustand unserer Gesellschaft zu.
Bernhard Kathan führt den Leser durch eine Abfolge von Bildern, aus denen sich am Ende ein neuer Blick auf das komplexe Thema "Tierliebe" ergeben könnte.
Buch-Tipp
Bernhard Kathan: "Zum Fressen gern. Zwischen Haustier und Schlachtvieh.", Kadmos Verlag 2004, ISBN 3931659488