Schärfung des Blicks

Hell-wach

Urbaner Intellektueller, mönchischer Bergfex, Almhirt und Sprachmonteur. Bodo Hell ist eine singuläre Erscheinung der österreichischen Literatur und Kunst. Und ein Freund der Fotografie, wie seine Lesung zur Josef-Petzval-Ausstellung beweist.

Bodo Hell ist voll da. Wann immer man ihm begegnet, ist er hellwach, mit freundlichen, vor Fragen und Antworten übergehenden Augen, jederzeit bereit, von gerade neu beobachteten Merkwürdigkeiten und Kuriosa zu erzählen. Die Welt ist merkwürdig für Bodo Hell, und sie besteht aus Sprache, Bild und Ton. Vor allem, wenn er sie wieder preisgibt, in Form von Büchern, Filmen, Fotos, Theater, Radioarbeiten und Musik.

Mönchischer Bergfex

Bodo Hell ist aber auch ganz weg. Das weiß der Wiener, der ihn vom Frühsommer bis in den Herbst vergeblich im Stadtbild sucht: Nirgendwo der auffällige Kahlkopf, den man sonst oft auf einem alten Fahrrad, mit Rucksack und Knickerbocker durch die Gegend sausen sieht. Denn dann befindet sich Bodo Hell auf einer Alm am Dachstein, die er seit bald zwei Jahrzehnten für die dortigen Bauern bewirtschaftet.

Dann ist er auch der Meister, der zu den Wurzeln geht. Seine Freunde warten schon süchtig auf den mit Meisterwurz angesetzten Schnaps, den er ihnen im Herbst mitbringt, aber das ist hier nicht gemeint: Bodo Hell ist getrieben von einem volkskundlichen Interesse an den Artefakten des gerade noch Vorhandenen, er ist ein Archäologe der Gegenwart.

Sprachmonteur

Ausgefallene Ortsnamen, ungewöhnliche Ausdrücke, verschollenes Wissen sind für Hell Quell reinen Entzückens. Kommt er dann für die kürzeren Tage und längeren Nächte wieder in die Großstadt, sind Hells semiotische Antennen erst recht voll ausgefahren: Da fällt ihm eine verwitterte Aufschrift, dort eine elektronische Laufschrift ins Auge, die Welt ist ein Alpha-Beet, und Hell der Gärtner, der darin gräbt und gräbt, bis er in Materialien und Textbrocken zu versinken droht.

Dann ist es höchste Zeit für ein neues Werk, in dem alle die Fundstücke, Wort- und Erzählpartikel, Momentaufnahmen und Errata des Lebens zusammengemischt werden, ihre Kenntlichkeit aber nie verlieren, sondern gerade in der aufwendigen Konstruktion ihres Durcheinanders eine neue Klarheit und gesellschaftsbezogene Deutlichkeit gewinnen.

Urbaner Intellektueller

Bodo Hell wurde 1943 in Salzburg geboren, studierte Orgel, Film und Fernsehen und Philosophie. Seine ersten Buchpublikationen waren die Bergerzählungen "Dom Mischabel Hochjoch" und der Foto-Text-Band "Stadtschrift". Seither ist sein Werk in verschiedensten literarischen, akustischen und visuellen Ausformungen ständig gewachsen und wurde mit vielen wichtigen Preisen ausgezeichnet (angefangen vom Rauriser Literaturpreis Anfang der 70er Jahre, über den Erich-Fried-Preis, den Berliner Literaturpreis oder den Preis der Stadt Wien, um nur einige zu nennen).

Neben all seinen Büchern, Filmen, Hörspielen und Ausstellungen habe ich noch einen persönlichen Grund, Bodo Hell dankbar zu sein: Er war in dem bunten Quartett der Mitarbeiter meiner Wiener Literatursendung "Leuchtschrift" zusammen mit Hans Haider, Franz Schuh und Herbert Wimmer derjenige, der mit seinen ungewöhnlichen Reportagen das Radio wirklich zum Blühen brachte.

Tipp
Die Ausstellung "Josef Petzval: Die Schärfung des Blicks" ist noch bis 22. Februar im Technischen Museum Wien zu sehen.

Link
Technisches Museum Wien