Warum feiern wir Weihnachten?

Sternsucher

Weihnachten ist ein schwieriges Fest, gerade weil es wahrscheinlich das populärste Fest überhaupt ist. Überall wird Weihnachten gefeiert - aber warum eigentlich? Der Psychoanalytiker Eugen Drewermann interpretiert das Weihnachtsevangalium auf seine Weise…

Eugen Drewermann über das Weihnachtsevangelium

Weihnachten ist ein Fest, das einen aus der Routine bringt - so oder anders. Die einen flüchten und fahren weit weg, um nicht zu feiern, und die anderen bleiben daheim und feiern mehr oder weniger feierlich - aber was, das ist für viele die Frage. Denn auch wenn hinter den Geschenkpaketen die Krippe unter dem Christbaum steht und das "Stille Nacht - Heilige Nacht" ertönt, bleibt die Form dieses Festes merkwürdig leer.

Was ist Weihnachten für ein Fest? Hat das Weihnachtsevangelium für heutige Zeitgenossen noch Bedeutung? Und wenn ja, welche? Eine der möglichen Zugangsweisen legt der Psychoanalytiker und Priester Eugen Drewermann in seiner Interpretation der Texte des Evangeliums frei.

"Und es waren Hirten auf dem Felde ...

"... und plötzlich weitete sich der Himmel und die Hirten hörten, wie die Chöre der Engel der ganzen Welt Frieden verkünden. Und die Hirten brechen sofort auf, gehen hin und finden das Kind, dessen Geburt der Engel verkündet hat, in einem armen Stall“ (Zitat: Lukasevangelium).

Begonnen hat die Geschichte nicht festlich. Ein kleines Kind wird in einem armen Stall geboren. Und wegen der Geburt dieses Kindes feiert man bis heute Weihnachten. Die tiefere Bedeutung des Festes aber ist in der Zwischenzeit hinter Dogmen und Gebräuchen außer Sichtweite geraten. Man braucht schon eine Art Archäologie des Weihnachtsfestes, um die tiefere Bedeutung wieder in den Blick zu bekommen.

Die Zeichen des Himmels

In den alpenländischen Krippen wird diese Szene aus dem Lukasevangelium mit großer Liebe dargestellt: die Hirten, die mit teils verlegenen teils selbstbewussten Gesten das Neugeborene betrachten, die Schafe, die ihnen teils um die Beine laufen, teils von den Hirten im Arm getragen werden, die kleinen Buben, die mitgekommen sind und staunen. Auf der anderen Seite der Krippe stehen meist die Kamele und die Pferde der weisen Magier aus dem Morgenland mit ihrem kostbaren Zaumzeug; und die drei Männer mit den Geschenken für das neugeborene Kind, mit Gold, Weihrauch und Myrrhe. "Wir haben seinen Stern aufgehen gesehen und sind aufgebrochen, ihn zu suchen", sagen die drei Magier im Matthäusevangelium.

Unversehens wird klar, was Weihnachten für ein Fest ist: ein Fest, das an die Zeichen des Himmels erinnert und an die Notwendigkeit, aufzubrechen und den Engeln und Sternen zu folgen.

Die Sehnsucht nach einem Friedenskönig

Mord, Gewalt, Lüge, Rachsucht, Habgier, Unrecht und Krieg - ist es das, was das Leben der Menschen mehr oder weniger bestimmt? Der Psalm 72 spricht von der Sehnsucht nach einem König, der ein Reich des Friedens schafft, der die Gefangenen befreit und den Unterdrückten zu ihrem Recht verhilft, der Unrecht und Habgier beseitigt und dem Morden ein Ende setzt. Immer wieder spricht die hebräische Bibel von einem Friedenskönig, dem Messias, der kommen wird und in dessen Reich Recht und Gerechtigkeit blühen werden. Davon sprechen die Psalmen und die Propheten, und davon spricht auch das Neue Testament.

Das Friedensreich kommt nicht von selbst

Dieses Reich der Gerechtigkeit kommt aber nicht von selbst. Es braucht die Bemühung der Menschen um ein anderes Leben, einen anderen Lebensstil. "Kehrt um, lebt anders, denn das Gottesreich ist nahe" - diese Aufforderung zieht sich wie ein Refrain durch das ganze Neue Testament. Die Frage ist nur, wie kann man sie verwirklichen?

"Wie kann man neu werden, wie einen neuen Anfang finden, neu geboren werden? Das ist die Frage, die das Weihnachtsfest stellt. Damit bekommt Weihnachten einen ganz anderen Sinn", sagt Eugen Drewermann. "Man muss die Kindheitsgeschichte der Evangelien gar nicht kennen, um zu verstehen, worum es geht. Weihnachten ist nicht das Fest eines mythischen Kindergottes."

Der Machtmissbrauch

Die größte Sorge der Machthaber ist es, ihre Macht zu verlieren. Deswegen brauchen Könige und Präsidenten Militär und Polizei, deswegen müssen Kriege geführt und Menschen getötet werden, weil es um die Macht geht. Das ist nichts Neues. Wer in der hebräischen Bibel die so genannten Bücher der Chronik liest, findet eine Geschichte nach der anderen, in der es um Krieg, Kampf, Verrat, Eroberung und Sieg geht. Freilich ist das nicht das einzige Thema - denn es gibt in den Erzählungen der hebräischen Bibel immer auch die Gegenbewegung, die Gegenhelden, die Propheten, die das Unrecht beim Namen nennen und sich notfalls auch mit einem König wie etwa dem großen König David anlegen. Jesus ist so ein Gegenheld.

Herberg-Suche nicht nur ein Mythos

Das Bild von einem erschöpften Mann und einer ebenso erschöpften, hochschwangeren Frau samt dem Esel, auf der Suche nach einem Platz, auf dem sie die Kälte der Nacht überleben können: Dieses Bild von der Herberg-Suche ist nicht nur ein Mythos. Niemand weiß genau, wie viele Frauen und Männer, und vor allem wie viele Kinder in der Weihnachtsnacht erfrieren werden - weit fort, in Afghanistan zum Beispiel oder in Tschetschenien oder auch irgendwo in einer der europäischen Großstädte oder an einem der vielen unheilen Orte dieser Welt.

Der Mythos vom Licht- und Sonnengott

Gleichzeitig ist das Bild von der Herbergsuche doch auch ein Mythos, dessen Wurzeln in Ägypten zu finden sind.

"Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott - so spricht das große Glaubensbekenntnis von Jesus. Die Bilder des großen Credo finden sich nicht bei den Evangelisten Matthäus, Markus oder Lukas, sondern eher im Johannesevangelium. Es könnte leicht sein, dass diese Bilder ursprünglich aus Ägypten stammen. Denn der Mythos vom Licht- und Sonnengott Osiris erscheint wie eine Form, in der sich das Geheimnis Jesu ausdrücken lässt“, sagt Eugen Drewermann.

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