Ein Doppeldebüt

Das Gut / Die Hütte

Zwei schmale Romane von einer bislang unbekannten Autorin: Kathrin Groß-Striffler, der diesjährigen Alfred-Döblin-Preisträgerin, für die Schreiben Flucht bedeutet, Flucht im positiven Sinne, im Sinne von Aufbruch in eine neue Welt.

"Gedanken in Sprache zu übersetzen, finde ich sehr reizvoll."

Nicht eben ein Name, der leicht über die Lippen geht und den man sich infolgedessen leicht merken würde: Kathrin Groß-Striffler. Und die Texte? Klar, sehr klar. Deutlich, manchmal vielleicht zu deutlich. Einfach, aber doch nie zu einfach.

Kathrin Groß-Striffler erzählt und beide Romane machen deutlich, dass sie eben dies kann. Die entworfenen Figuren werden nicht bewertet, sie werden gezeigt - in ihrer Gebrochenheit und Uneindeutigkeit, in ihrer Unzulänglichkeit.

Vom Leben in der Natur

Dass das Land, das Landleben und die Natur in beiden Romanen eine zentrale Rolle spielt, sei wohl auch darauf zurückzuführen, erzählt die studierte Anglistin und Romanistin, dass sie mit ihrer Familie seit sieben Jahren auf dem Land lebe: Das Leben auf dem Land sei ihr wichtig, das Verbundensein mit der Natur, der Wechsel der Jahreszeiten, das ist es, was sie kenne und diese Kenntnis hinterlässt deutliche Spuren in Kathrin Groß-Strifflers Texten.

Hier werden Figuren gestaltet, die mit der Natur in Beziehung treten oder mit eben dieser in Beziehung stehen. Und diese Beziehung wird in der Folge einer genauen Betrachtung unterzogen.

Drei Generationen

Torsten, Protagonist in "Das Gut", Sohn eines Schuhverkäufers in einer norddeutschen Stadt, heiratet Hannah, die Tochter des Großgrundbesitzers, dessen riesiges Gut sich vor den Toren dieser Stadt befindet. Torsten ist jedoch nicht der, den sich Hannahs Eltern erwartet haben. Und schließlich auch nicht mehr der, den sich Hannah wünschen würde:

Er war schon als Kind anders. Anders als die anderen, die wussten, dass ein Stein ein Stein war und Bäume umstürzten, wenn man das Beil an einer bestimmten Stelle in die Rinde schlug. Er schien vor allem, vor jedem, zurückzutreten, einen kleinen, ehrfürchtigen, kaum wahrnehmbaren Schritt, um zu betrachten, was vor ihm war, so als müsse er sich selbst gänzlich zur Seite nehmen und als warte er nur auf den Augenblick, der ihm erlauben würde, dem wahren Wesen seines Gegenübers seine Reverenz erweisen zu dürfen.

Der stille Torsten

Torsten, der Ausufernde, der Langatmige, der nicht zupacken kann, nicht handeln, der kontemplativ ist, wie ihn Kathrin Groß-Striffler beschreibt und ihn deshalb mit einer antiquiert anmutenden Sprache ausstattet, dieser Torsten heiratet also in den Landadel ein, aus Liebe zu Hannah und muss bald die Leitung des Gutes Eltmann übernehmen.

Es ändern sich die Zeiten und die Anforderungen an den alten Familienbetrieb: Das Gut Eltmann soll zum modernen Landwirtschaftsbetrieb umgewandelt werden, wie dies auch am benachbarten Erlenhof geschieht - erfolgreich nach Ansicht der Familie Eltmann, nicht der einzuschlagende Weg aus Torstens Sicht. Und Torsten versagt, er kann sich mit seiner verschwiegenen Art nicht durchsetzen.

Vergangenheit und Gegenwart verwoben

Trotz allem bzw. gerade deshalb kommen zwei Kinder zur Welt: Malte, geraten nach der zunehmend sich verhärtenden Mutter Hannah, und Johannes, der seinem Vater Torsten ähnlich wird und schließlich das Gut verlässt, um dorthin nie wieder zurückzukehren.

An seiner statt jedoch sein Sohn Jan, nach vielen Jahren, der den ehemaligen Gutsbesitz Eltmann als "Eltmann Ferienanlage" vorfindet. Mittlerweile hat Malte, der mit wenig Liebreiz ausgestattete Erbe der dritten Generation, den Betrieb übernommen und mit den ideellen Gütern der Vergangenheit gebrochen.

Je nachdem, aus welcher Perspektive Kathrin Groß-Striffler die Geschichte erzählen lässt, eröffnen sich neue Sichtweisen, die allesamt darauf hinweisen, dass es keine eindeutigen Antworten gibt, kein letztgültiges Recht. Die narrativ erstellte Konfrontation von Tradition und Moderne verdeutlicht die unauflösbare Verwobenheit von Vergangenheit und Gegenwart, lässt alles, was heil und ganz anmutet, in Scherben brechen und macht es als knöchrig gewordenen Dünkel kenntlich, der keinen Raum zum Atmen lässt.

Die Hütte am Fuß der Berge

Keinen Raum zum Atmen hat auch Joanne, die früher Johanna hieß, die Protagonistin des Romans "Die Hütte", die sich aus eben diesem Grund aus Deutschland nach Amerika davon macht, als Austauschstudentin, um sich schließlich auf eine Hütte am Fuße der Blue Ridge Mountains zurückzuziehen und vor ihrem unberechenbaren, gewalttätigen Mann Jim in den Alltag der Farmarbeit zu flüchten.

America klang anders, wenn er es sagte, als es geklungen hatte, wenn ich es zu Hause in Deutschland vor mich hin gesprochen hatte, es klang drohend und nackt und gefährlich und unüberschaubar und so, als könnte man sich darin verlieren. Zu Hause hatte es nach Weite geklungen und nach Freiheit und danach, dass ich anders werden könnte, als ich war, dass Grenzen da seien, um überwunden zu werden, und dass jenseits etwas auf mich wartete, eine neue Haut, in die ich schlüpften könnte, eine, die weiter war und besser passte und in der ich wachsen konnte nach Belieben.

Die inneren Schreie unterdrücken

Erzählt wird durchgehend aus der Ich-Perspektive. Lang aneinandergereihte Hauptsätze erwecken den Anschein, als wolle die Protagonistin die verschütteten Traumata endgültig wegerzählen, den Schmerz, den Schrei mit Hilfe der Sprache unterdrücken. Vergeblich, der Schmerz, der Schrei, kommt umso deutlicher zum Vorschein.

"Das Gut" und "Die Hütte" von Kathrin Groß-Striffler sind zwei klare, helle Texte, wobei "Die Hütte" sowohl sprachlich als auch thematisch eindringlicher ist als "Das Gut". Auch wenn man sich den Namen der Autorin nicht merken sollte, ihre zwei Romane hinterlassen nicht nur der Einfachheit der Titel wegen umso merklichere Spuren.

Buch-Tipps
Kathrin Groß-Striffler, "Die Hütte", Aufbau-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3351029896

Kathrin Groß-Striffler, "Das Gut", Reclam Verlag, Leipzig 2003, ISBN 3379008044