von Jiri Grusa
"Gebrauchsanweisung für Tschechien"
Die tschechische Sprache ist ein Wunder an Sparsamkeit, sagt Jiri Grusa, und er führt den Beweis, wie "Haatscheks" und "Tschaarkas" wirken. Man fragt sich, wo diese seit der Einführung von Textprogrammen geblieben sind.
8. April 2017, 21:58
Nun, mein verehrter Tschechienforscher, du wirst nicht unbedingt jedem der Nachkommen des Urvaters Tschech Freude machen, wenn du ihm ein Bekenntnis zu seiner Verwandtschaft mit dem braven Soldaten abverlangst.
Er wird dir aber einen anerkennenden Blick zollen, wenn du angesichts eines Swejk auch den Schwejk erkennen würdest und diesen solchermaßen aussprichst. Denn just das, was dich auf allen tschechischen Inschriften an eine Ansammlung von Schwalben erinnert, die sich kurz vor dem Abflug in die wärmeren Gegenden Afrikas auf der Überlandleitung zusammengefunden haben, hat Sinn und Charme.
Es sind haatscheks, wörtlich "Kleinhaken", was dir da so chinesisch vorkommt. Und in der Tat, du brauchst noch Stäbchen, die tschaarkas, dazu, um unsere Schreibweise zu genießen.
Sei weich und hab' einen langen Atem!
Nur Mut! Nicht unähnlich dem ersten Besuch in einem chinesischen Restaurant, schmeckt auch hier die Küche, sobald ein Häppchen in der Zange schwebt und glücklich auf der Zunge landet. Gleich den Chinesen essen wir Tschechen direkt aus der Pfanne und in kleinen Portionen. Das Stäbchen dient uns dabei als vielseitiger Zauberstab. Mit seiner Hilfe wird nicht nur emporgehoben, sondern auch umgerührt und kleingehalten. Denn alles, was diese Zauberrute nicht berührt hat, ist prinzipiell kurz und hart.
Und weil das so gut schmeckt, vernimmt ein aufmerksamer Tschechienforscher das ur-tschechische Schnalzen und Schmatzen.
Der Kleinhaken hingegen macht seinem Namen Ehre. Wessen immer er sich bemächtigt, er klopft es gnadenlos weich. Der haatschek und die tschaarka erteilen dem Tschechen zwei Grundbefehle seiner nicht nur sprachlichen Existenz: Sei weich und hab' einen langen Atem.
Sprache als heimeliger Ort
Alles, was den Gaumen kitzelt, mögen wir auch lautmalerisch. Die obere Wölbung der Mundhöhle ist das Nest, aus dem unsere Svalben in die Lüfte steigen. Sie wird jedoch für all jene zur Hölle, die diesen Teil des Mundes nur der Feinschmeckerei vorbehalten. Wir hingegen kosten hier unseren Sprachunterschied weidlich aus. Unsere Identität ist so etwas wie eine ständige Vorfreude auf die noch zu erwartenden Weine und Braten. Dafür haben wir im mittleren Mund einen Klangkeller, der die dz, c, s und z (dzh, tsch, sh und zh) liefert. Auf Bestellung können auch die kaum nachzuahmenden d', t', n (dj, tj, nj) kommen.
Zungenbrecher
Doch habe ich dir den kompliziertesten Laut noch vorenthalten. Wahrscheinlich hast du ihn zu irgendeinem "Riep" oder "Rschiep" verzerrt. Eine schwache Leistung. Deine Zunge sollte sich für ein "r" bereithalten, zugleich sollten die Zähne so dicht aufeinandergepresst werden, dass dazwischen höchstens eine Rasierklinge Platz hätte, nun solltest du die vibrierende Zungenspitze so lange schwingen lassen, bis endlich der wunderbare Ton sich weit und breit ergießt. Da du das allerdings meistens ebenso wenig beherrschst, obwohl es dir durch Worte wie Jargon, jamais oder Joujou schon geläufiger ist, bezweifle ich deinen Erfolg und erteile dir Absolution.
Tschechisch - ein kühnes Wagnis?
Nichts für ungut! Ich erhoffe mir nur, dass du ermessen kannst, welch ein kühnes Wagnis unsereiner bereits im zartesten Kindesalter auf sich nimmt, um sich zu einem echten Tschechen zu mausern. Wir prahlen gerne damit, als einziges Volk der Welt diesen seltsamen Laut in der Schatzkammer unserer Sprache zu bewahren. Dabei ist dieses akustische Juwel auch bei uns zu Hause keineswegs immer richtig zu hören. Manche schaffen es nie und werden an Logopäden verwiesen.
Service
Jiri Grusa "Gebrauchsanweisung für Tschechien", Piper Verlag