Recherche über den Tod eines Journalisten
Wer hat Daniel Pearl ermordet?
Die zentrale Frage lautet nicht: Wie wurde Daniel Pearl ermordet? Sondern: Warum gerade er, der relativ unbedeutende Journalist. Warum so brutal und vor allem so öffentlich? Pearl muss etwas gewusst haben, was er nicht hätte wissen dürfen. Bloß was?
8. April 2017, 21:58
Daniel Pearl bekennt sich "schuldig"
Der amerikanische Journalist Daniel Pearl spricht kurz vor seiner Ermordung am 31. Januar 2002 vor der Videokamera - offensichtlich dazu gezwungen - all das aus, was unter Radikalislamisten als Verbrechen gilt: Jude und Amerikaner zu sein. Und Journalist, was so viel bedeutet wie Spion. Dann wird ihm, auch das vor laufender Kamera, zuerst die Kehle durchgeschnitten, schließlich der Kopf abgetrennt.
Diese scheußlichen Szenen haben den französischen Philosophen, Journalisten und Schriftsteller Bernard-Henri Lévy dazu veranlasst haben, die Geschichte des Opfers zu rekonstruieren.
Auf der Suche nach einer guten Geschichte
Der Mittlere Osten ist für Journalisten ein lebensgefährliches Einsatzgebiet, das ist bekannt. Vor allem dann, wenn man über islamistische Terrorzellen recherchiert. Dabei verfängt man sich leicht in einem Netzwerk aus Geheimdiensten, abtrünnigen Militärs, skrupellosen Geschäftsleuten, Mördern, Waffenhändlern, Drogenbossen, Warlords und religiösen Eiferern. Das erkennt auch Lévy sehr schnell, als er versucht, in die Rolle Daniel Pearls zu schlüpfen.
Aber Daniel Pearl, Journalist beim "Wall Street Journal", schreibt Lévy, war kein Frontreporter, keiner, der dem Tod gern in die Augen sah. Er war in Pakistan auf der Suche nach einer guten Geschichte. Nachdem am 22. Dezember 2001 der als Schuhbomber bekannt gewordene Brite Richard Colvin Reid einen Airbus auf dem Flug von Paris nach Miami sprengen wollte, fiel bei den Vernehmungen der Name Mubarak Ali Shah Gilani. Den kannte niemand. Daniel Pearl wollte das Geheimnis lüften, doch er sollte Gilani nie zu Gesicht bekommen.
Was wusste Pearl?
Die zentrale Frage für Lévy lautet nicht: Wie wurde Daniel Pearl ermordet? Sondern: Warum gerade er, der relativ unbedeutende Journalist. Warum so brutal und vor allem so öffentlich?
Pearl muss also etwas gewusst haben, was er nicht hätte wissen dürfen. Bloß was? Bernard-Henri Lévy kommt der Frage erst im letzten Drittel des Buches auf die Spur. Davor beeindruckt er seine Leser mit seiner scheinbar grenzenlosen Mobilität. Er jettet mehrmals in die USA, nach Bosnien, Indien, Pakistan, Afghanistan, Dubai. Er trifft sich mit Ministern, Polizeioffizieren, Journalisten, Kriminellen und Verbindungsleuten zum inneren Kreis des islamistischen Terrors.
In die Falle gelockt
Lévy findet heraus, dass der Mann, der Daniel Pearl in die Falle gelockt hat, nicht der war, als der er nach dem Mord von der pakistanischen Justiz der Weltöffentlichkeit vorgeführt wurde. Omar Sheik, ein junger Brite pakistanischer Herkunft, der sich im Zuge des Bosnienkrieges den dort aktiven Mudschaheddin-Söldnern angeschlossen hatte, war nicht bloß ein unbedeutender Kämpfer irgendeiner fundamentalistischen Splittergruppe, wie die offizielle Version lautete.
Lévis Recherchen ergeben, dass er im Dienst des pakistanischen Geheimdienstes ISI stand, einer Art fundamentalistisch unterwanderten Gegenregierung zum laizistischen Militärregime General Musharrafs. Omar Sheik stand aber auch direkt mit Osama bin Laden in Verbindung.
Orientalisches Labyrinth
Ob Lévys Erkenntnisse der Wahrheit entsprechen, ist schwer zu sagen. Er jedenfalls glaubt seinen Quellen, beziehungsweise seiner Intuition, betont aber zugleich immer wieder die chaotischen Zustände in Pakistan, die sich jeder Logik entziehen.
Gerade darin liegt die Stärke des Buches: in der Darstellung des orientalischen Labyrinths, das jeden Versuch, Gut von Böse zu trennen, unmöglich macht. Lévy selbst sagt, man müsse schon Semiotiker sein, um all die Zeichen zu verstehen. Mit abendländischer Vernunft ist die Vernetzung von Religion, Gewaltbereitschaft, Verschwörungstheorien, wirtschaftlichen und militärischen Interessen nicht zu erklären.
Daniel Pearl war zu neugierig, das hat selbst der pakistanische Präsident gesagt. Er hat seine Gegner unterschätzt und mit seinem Leben bezahlt. Bernard-Henri Lévy hat seine Lehre daraus gezogen. Er wird in Zukunft keinen Fuß mehr auf pakistanischen Boden setzen. Denn dann hätte er keine Zukunft mehr.
Buch-Tipp
Bernard-Henri Lévy, "Wer hat Daniel Pearl ermordet?", Econ Verlag 2003, ISBN 3430112060