Eine Psychologie des neuen Terrorismus

Der Mensch als Bombe

In seinem neuen Buch unternimmt Wolfgang Schmidbauer den Versuch einer Analyse der Persönlichkeitsstruktur von Selbstmordattentätern. Was macht aus Menschen Killermaschinen? Ist es Ruhmsucht, Geltungsdrang, Gehirnwäsche oder Gruppenzwang?

Auslöser für Wolfgang Schmidbauers aktuelles Buch war das Attentat vom 11. September 2001. Seitdem häufen sich terroristische Anschläge, ohne dass wir das Verhalten von Attentätern, die sich selbst mit in die Luft jagen, wirklich nachvollziehen oder verstehen könnten.

Was ist es, was aus Menschen Killermaschinen macht? Ist es Ruhmsucht, Geltungsdrang? Sind es pathologische Persönlichkeiten, irregeleitet von religiösen Fanatikern? Ist es Gehirnwäsche oder Gruppenzwang?

"Ich denke, es geht darum, dass unter bestimmten sozialen Drucksituationen und Defiziten in der Persönlichkeitsentwicklung von Individuum sich Menschen in so einer Weise verwandeln können, die sie dann zu solchen Taten disponieren", ist Schmidbauer überzeugt. "Dass aber umgekehrt kein fanatischer Indoktrinateur jemandem, der eine normale psychische Entwicklung gemacht hat und normalen inneren Halt hat, solche Dinge einfach einreden kann."

Attentäter - pflichtbewusst, höflich und korrekt

Mohammad el-Amir Awad al Sajid Atta galt als pflichtbewusst, höflich und korrekt, als intelligent, fleißig und diszipliniert. Er studierte Architektur, bekam gute Noten und schrieb eine ausgezeichnete Diplomarbeit - über den gefährdeten Altstadtteil im syrischen Aleppo.

In Kairo beschäftigte er sich mit Stadt- und Verkehrsplanung und betätigte sich als radikaler Kritiker der Hässlichkeiten der Moderne, vor allem der von ihm verhassten "westlichen" Bauweise. Er engagierte sich für arme Muslime, ließ sich einen Vollbart wachsen und kleidete sich bald wie das Idol der Fundamentalisten, Osama Bin Laden, mit Pluderhosen statt mit Jeans. Er wirkte jetzt sehr ernst und verschlossen.

Atta verfasste ein Testament, das penibel das Ritual seiner Beerdigung regelte. Nur Männer dürfen in die Nähe seine Leiche, nur mit Gummihandschuhen sollen seine Genitalien angefasst werden.

Am 11. September 2001 starb Mohammad Atta, er stürzte mit einem von ihm entführten Flugzeug, einer Boeing 767 der American Airlines, ins World Trade Center von New York.

Narzisstische Persönlichkeitsproblematik

Schmidbauer sieht in der aktuellen Diskussion über Selbstmordattentate die Bedeutung der religiösen und politischen Motive für überbewertet, sie allein, meint er, könnten solche Taten nicht verständlich machen.

Schmidbauer dagegen wirft einen Blick auf die Biografie, auf die Persönlichkeit der Attentäter, er will zeigen, wie sich frühe Einflüsse aus der Kindheit mit Einflüssen aus der Adoleszenz zu einem ganz bestimmten Syndrom verbinden, das er "narzisstische Persönlichkeitsproblematik" nennt.

"Verführbar durch den Schein der Männlichkeit"

Alle Erkenntnisse sprechen dafür, dass es sich bei Selbstmordattentätern um Menschen handelt, die keine auffällige psychische Pathologie zeigen und keinen angeborenen Defekt, meint Schmidbauer. Im Gegenteil, sie wirken oft unauffällig, äußerlich angepasst, gebildet, sind Kinder wohlsituierter Eltern. Sie streben hohen Idealen nach, wollen unbedingt geliebt werden, sind aber nicht bereit oder fähig, Zurückweisungen oder Misserfolge zu akzeptieren. Ob sie stark gläubig oder religiös sind, ist zweifelhaft. Unzweifelhaft dagegen ist ihre Faszination für moderne Technik, für Flugzeuge, Computer, Waffen und Sprengstoff.

"Der Selbstmordattentäter ist ein hysterischer Mann, verführbar durch den Schein der Männlichkeit und voller Angst vor der Realität einer reifen Beziehung", resümiert Schmidbauer, für den sich eher Männer als Frauen in menschliche Bomben verwandeln können. "Er verleugnet diese Ängste und kompensiert sie durch Größenfantasie."

"Jeder Mensch ist potenziell eine Bombe"

Vieles in seinem Buch bleibt spekulativ, klingt simpel oder klischeehaft. Mutterbindung, Sexualstörung, Größenfantasien - für Psychoanalytiker seit jeher der Generalschlüssel zu abweichendem Verhalten, jetzt also auch zum so genannten "explosiven Narzissmus", dem vermeintlichen Auslöser für Selbstmordattentate.

Über deren Urheber hätte man gerne mehr erfahren, dennoch ist sein Buch über die "Psychologie des neuen Terrorismus" lesenswert: weil Schmidbauer die Rolle der Medien erkennt; weil er dem Motiv eines - religiösen oder politischen - Fanatismus misstraut oder diesem zumindest nicht die Alleinverantwortung für menschliche Bomben zuschiebt; weil er schließlich auf höchst aufschlussreiche Weise die Attentate von heute, von New York, Bagdad oder Jerusalem, in einen übergreifenden Erklärungszusammenhang von Terrorismus und Menschenopfer stellt. Selbstmordattentäter, das sind in den seltensten Fällen verhaltensauffällige, blindwütige Eiferer mit hohem Aggressionspotenzial. Die Sache ist viel schlimmer. Jeder Mensch, behauptet Wolfgang Schmidbauer, "jeder Mensch ist potenziell eine Bombe".

Buch-Tipp
Wolfgang Schmidbauer, "Der Mensch als Bombe. Eine Psychologie des neuen Terrorismus", Rowohlt Verlag 2003, ISBN 349806357X.