Die Entstehung einer Biografie
Das Leben erzählen
Der Historiker Bernhard Kuschey hat eine Biografie über Ernst und Hilde Federn verfasst. Die biografischen Studie beschäftigt sich aber nicht nur mit außergewöhnlichen Lebensläufen, sondern auch mit der Frage, wie eine authentische Biografie entsteht.
8. April 2017, 21:58
Hilde Federn war Kinderpädagogin, Ernst Federn überlebte die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald und arbeitete nach 1945 in den USA als Psychoanalytiker und Sozialpsychologe. Er gilt als einer der Gründer der psychoanalytischen Sozialarbeit.
Die Doppelbiografie über die Federns umfasst zwei Bände und ist fast 1100 Seiten stark. Sie spannt einen Bogen vom linksintellektuellen Milieu im Wien der Zwischenkriegszeit über die politischen Auseinandersetzungen der 30er Jahre, die Verhaftung Ernst Federns durch die Gestapo aus politischen Gründen, das Überleben in den Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau bis hin zur Rückkehr in die zivile Welt des Nachkriegs.
Wie erzählen Menschen ihre Geschichte?
Doch nicht nur diese zweifellos außergewöhnliche Lebensgeschichte ist von Interesse, sondern auch die Fragen, die der Autor an Hand dieser Biografie abhandelt: wie erzählen Menschen ihre Geschichte? Was kann man bei solchen Erzählungen erfahren, was nicht? Und: wie geht man als Historiker mit solchen Erzählungen und den eigenen Gefühlen dabei um?
Subjektive Geschichte
In den 70er Jahren wurde in der Geschichtsschreibung der Widerstand gegen den Nationalsozialismus breit entdeckt, und für viele Angehörigen der 68er Generation schien diese Geschichte interessanter zu sein als die Geschichte der Opfer.
Für diese Kinder der Wehrmachtsgeneration waren die Widerstandskämpfer so etwas wie die "besseren Väter", mit denen man sich identifizieren konnte. Kuschey problematisiert solche bewusst-unbewussten Motive hinter den Forschungsinteressen.
Für einen guten Historiker sei es wichtig, diese Identifikationen zu durchschauen, um wissenschaftlich arbeiten zu können. Wobei auch die gegenteilige Falle vermieden werden sollte, nämlich die Fixierung der Überlebenden in ihrem Status als bloße Opfer.
Nähe und Distanz
15 Jahre hat die Beschäftigung des Autors mit den Biografien von Ernst und Hilde Federn gedauert. Kuschey spricht von einem "Arbeitsbündnis" zwischen den Beteiligten. Das generierte Quellenmaterial stammt in erster Linie aus einem sich über Jahre hinziehenden lebensgeschichtlichen Interview. Die Grundlage für diese Form der Quellenproduktion ist es, eine Beziehung herzustellen, eine Beziehung zwischen dem Interviewer und dem Interviewten.
Der Historiker muss eine Differenz zu den Erzählungen des Interviewten aufbauen, er darf sich nicht völlig damit identifizieren. Die wissenschaftliche Arbeit spielt sich also in einem Beziehungsdreieck ab, dessen Eckpunkte die Erzählung des Interviewten, die Recherche in der vorhandenen Literatur und die Interpretation des Historikers sind.
Supervision als Unterstützung
Bei einer derart intimen Situation wie dem lebensgeschichtlichen Interview kommen dem Wissenschaftler immer wieder seine Gefühle und Affekte dazwischen, und das kann den Gesprächsverlauf und die Ergiebigkeit der Interviews beeinflussen. Es kann zu unbewussten Versuchen kommen, dem Angstbesetzten auszuweichen und dem Interview eine andere Richtung zu geben.
Hier sei es sinnvoll, sich helfen zu lassen, meint Kuschey. Er hat, und das hat etwa der "Fonds zur wissenschaftlichen Forschung" als besondere methodische Innovation hervorgehoben, sich beim biografischen Prozess durch eine Supervision begleiten lassen.
Supervisor war dabei der Psychoanalytiker Josef Shaked. Ein Biograf müsse sich über die emotionalen Begleitumstände der Arbeit klar werden, sagt er, und nur wenn er das tut, könne er die nötige Balance von Nähe und Distanz zum Objekt seiner Beschreibung wahren.
Buch-Tipp
Bernhard Kuschey, "Die Ausnahme des Überlebens - Ernst und Hilde Federn", Psychosozial-Verlag, ISBN 3898061736
Eine Präsentation des Buches findet am Donnerstag, den 26. Februar um 19.00 Uhr in der Städtischen Bücherei Sandleiten im Wiener 16. Bezirk statt.