Zum 100. Geburtstag von Konrad Lorenz
Der Forscher, der mit den Tieren sprach
Zeitgerecht zu seinem 100. Geburtstag erscheint die erste Biografie des einst prominentesten Wissenschafters Österreichs: Konrad Lorenz. Sie erregt die Gemüter und kratzt an der tadellosen Vergangenheit des Nobelpreisträgers.
8. April 2017, 21:58
Für die einen ist er der Darwin des 20. Jahrhunderts, für die anderen ist er als Forscher längst überholt und widerlegt und außerdem ein entlarvter Parteigänger der Nationalsozialisten. Der 1989 verstorbene Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz erhitzt auch 14 Jahre nach seinem Tod die Gemüter. Erst jüngst ist anlässlich seines 100. Geburtstags am 7. November eine umfangreiche Biografie erschienen, welche auch Auszüge aus einer erst kürzlich entdeckten Lorenz-Autobiografie enthält.
Schon als Kind ein Tierfreund
Konrad Zacharias Lorenz wurde am 7. November 1903 als Sohn des bekannten orthopädischen Chirurgen Adolf Lorenz in Wien geboren. Schon in frühester Kindheit beschäftigte er sich am elterlichen Gut in Altenberg bei Greifenstein (NÖ) mit Tieren, die er aus den nahe gelegenen Donauauen nach Hause brachte.
Nach dem Besuch des Schottengymnasiums in Wien studierte er auf Drängen des Vaters ab 1922 an der Universität Wien und der Columbia University in New York Medizin. 1928 wurde er zum Doktor der Medizin, und nach weiterem Studium der Zoologie, das seinen wahren Interessen entsprach, in Wien 1933 zum Dr.phil. promoviert.
Gruppenspezifische Bewegungsweisen
Schon während des Studiums widmete er sich der Erforschung von tierischen Instinktbewegungen und entdeckte, dass bei sehr verschiedenen Tiergruppen Bewegungsweisen auftreten, die gruppenspezifisch und daher ebenso kennzeichnend sind wie etwa Merkmale des Körperbaus. Damit legte Lorenz aus heutiger Sicht die Grundlage für die vergleichende Verhaltensforschung.
Nach Assistenten- und Dozententätigkeiten an der Universität Wien wurde Lorenz 1940 als Professor für vergleichende Anatomie und Tierpsychologie an die Albertus-Universität Königsberg berufen. Der Krieg zwang zu einer Unterbrechung der wissenschaftlichen Laufbahn, er rückte als Arzt ein und geriet in russische Gefangenschaft. 1948 kehrte Lorenz zurück nach Altenberg und nahm seine Forschungstätigkeit wieder auf. 1949 wurde die Station für vergleichende Verhaltensforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Altenberg gegründet.
Ein eigenes Max-Planck-Institut
Doch Österreich bot dem Wissenschafter keine optimalen Arbeitsbedingungen. Er folgte 1950 dem Ruf der deutschen Max-Planck-Gesellschaft als Leiter der Forschungsstelle für Verhaltensphysiologie am Institut für Meeresbiologie in Buldern und Wilhelmshafen.
1955 stand ihm in Seewiesen in Oberbayern ein vollständig nach seinen Plänen eingerichtetes Institut zur Verfügung. Diesem Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie Seewiesen stand er von 1961 bis 1973 als Direktor vor.
1973 Nobelpreis für Medizin
1973 kehrte Lorenz nach Wien zurück und wurde zum Leiter der Abteilung Tiersoziologie des Instituts für vergleichende Verhaltensforschung der ÖAW in Altenberg und Grünau im Almtal (OÖ) ernannt.
In diesem Jahr erhielt Lorenz, gemeinsam mit dem gebürtigen Österreicher Karl von Frisch und dem Niederländer Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis für Medizin. Sie erhielten die Auszeichnung "in Anbetracht der Tragweite ethologischer Erkenntnisse auch für Psychiatrie und Psychosomatik".
Kämpfer gegen die Wertblindheit
Konrad Lorenz war nicht nur Begründer der Verhaltensforschung, er war auch eine der schillernden Figuren der ersten Stunde der Umweltschutzbewegung, hat mit seiner Evolutionären Erkenntnistheorie Darwins Lehre um eine wesentliche Dimension erweitert und war ein steter Kämpfer gegen die Wertblindheit der modernen Zivilisation.
Wissenschaftliche Begriffe, die auch in den allgemeinen Wortschatz Eingang gefunden haben, verdeutlichen sein Werk: Instinktbegriff, Prägung, Kindchenschema, Auslöser, Schlüsselreiz, Kumpanschema und Leerlaufreaktion sind nur einige Beispiele.
Vergleichende Verhaltensforschung
Die von Lorenz begründete Schule der Ethologie - die vergleichende Verhaltensforschung - hat vor allem die Erkenntnis erbracht, dass nicht nur der Körperbau, sondern auch die Verhaltensprogramme der Lebewesen unter Evolutionsdruck entstanden und teilweise im genetischen Code verankert sind.
Fragestellungen und Methodik einer vergleichenden Forschung, wie sie seit Darwin in allen anderen biologischen Disziplinen selbstverständlich geworden waren, wurden von Lorenz auch systematisch auf das Verhalten von Tieren und des Menschen angewendet.
Konträr zu den Behavioristen
Lorenz stand damit im krassen Gegensatz zu den vor allem in den USA arbeitenden Behavioristen, die davon ausgingen, dass jedes Verhalten erlernt ist. Der Wissenschafter machte dabei keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Tier und Mensch. "Der Weg zum Verständnis des Menschen führt genau ebenso über das Verständnis des Tieres, wie ohne Zweifel der Weg zur Entstehung des Menschen über das Tier geführt hat", lautete sein Credo.
Evolutionäre Erkenntnistheorie
Gemeinsam mit dem harten Kern des so genannten Altenberger Kreises - dem Wissenschaftstheoretiker Erhard Oeser sowie dem Meeresforscher und Theoretischen Biologen Rupert Riedl - und nicht zuletzt mit dem aus Österreich stammenden Philosophen Karl Popper erarbeitete und entwickelte Lorenz die Evolutionäre Erkenntnistheorie (EE). Sie beschäftigt sich vor allem mit der Wahrnehmung von Tieren und Menschen, auch der Apparat (z.B. Sinnesorgane), mit dem ein Individuum die Welt erfährt, ist ein Ergebnis der Evolution.
"Wir nehmen die Welt so wahr, wie wir entstanden sind", lautet ein Kernsatz der Theorie. Kein Individuum fängt bei Null an, jedes bekommt von der Natur einen Apparat mit, mit dessen Hilfe es die Welt in einer für dieses Individuum nützlichen, weil stammesgeschichtlich bewährten Art erfährt. Der lose Zusammenschluss von Wissenschaftern im Altenberger Kreis existierte bis zum Tode Lorenz'.
"Unwissenschaftliche" Studien
Lorenz' wissenschaftliches Werk blieb nicht unumstritten. So bezeichnen Kritiker die Arbeit des Pioniers der Verhaltensforschung als "unwissenschaftlich". Seine Studien hätten aus bloßem Beobachten bestanden, dabei seien ihm zahlreiche Fehler unterlaufen, die zu Missinterpretationen geführt hätten.
Dementsprechend werden auch die umfassenden Theorien des Nobelpreisträgers angezweifelt, etwa zur Aggression. Laut Lorenz steckt diese gleichsam in einem Organismus drin und ist Antriebsfeder für viele Verhaltensweisen. Auch dringe die Aggression unweigerlich von innen nach außen. Werde sie nicht ausgelebt, so würde sie sich ihren Weg suchen. Neuere Studien konnten dagegen zeigen, dass ausgelebte Aggression sogar noch aggressiver machen kann.
Qualität statt Quantität
Lorenz' Werk wird aber vielfach auch verteidigt. Er habe tatsächlich nach anderen Methoden gearbeitet als viele Verhaltensforscher heutzutage. Dabei habe er aber nicht weniger Sorgfalt an den Tag gelegt, es gebe eben nicht nur quantitative - etwa auf Zahlen und Statistiken beruhende -, sondern auch qualitative Genauigkeit, ist etwa Oeser überzeugt. Lorenz selbst hat Kritik und Kritikern wenig Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt.
Er redete nicht nur mit den Graugänsen
In der breiten Öffentlichkeit wurde der Nobelpreisträger nicht zuletzt deshalb so bekannt, weil er neben seinen wissenschaftlichen Abhandlungen stets auch Zeit für populärwissenschaftliche und teils sehr schnurrige Bücher hatte. So wurden die Werke "Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen", "So kam der Mensch auf den Hund", "Das sogenannte Böse", "Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit", "Die Rückseite des Spiegels" oder "Der Abbau des Menschlichen" jeweils mehrfach aufgelegt.
Im "Salzburger Nachtstudio" kommen sie alle zu Wort. Die Kritiker von Konrad Lorenz und Autoren der Biografie, Klaus Taschwer und Benedikt Föger, Konrad Lorenz durch Statements und Vorträge aus dem Archiv sowie Mitarbeiter der Forschungsstelle Grünau.
Mehr zum Buch über die Biografie von Konrad Lorenz zum 100. Geburtstag in science.ORF.at
Buch-Tipp
Klaus Taschwer/Benedikt Föger, "Konrad Lorenz-Biografie", Zsolnay Verlag , September 2003
Links
KLF - Konrad Lorenz Research Station
KLI - The Konrad Lorenz Institute for Evolution and Cognition Research
KLIVV - Das Konrad Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung